Klerus und KI: Wie das Stift Wilhering und die Tabakfabrik Digitalisierung thematisieren

Was haben der Innovationshotspot Tabakfabrik und das nah gelegene Kloster in Wilhering gemeinsam? Abgesehen von der architektonischen Bedeutsamkeit auf den ersten Blick sehr wenig. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das Zisterzienserstift  aber als idealer Kooperationspartner in Sachen Digitalisierung und Innovation. Denn das Stift ist dank seiner Progressivität und Offenheit prädestinierter Standort für eine Tabakfabrik-Dependance. Die Menschen in Wilhering sollen zukünftig in der Tabakfabrik forschen, experimentieren und lernen können – und dann ihre Erkenntnisse in die Heimatgemeinde tragen und dort weiterarbeiten.

Die Kooperation zwischen Tabakfabrik, der Gemeinde Wilhering und dem Stift Wilhering ist noch sehr jung und befindet sich gerade in der Findungs- und Definitionsphase von Playern, Zielen und Strategien. Dass diese Kollaboration aber vielversprechende Ergebnisse liefern wird, steht außer Frage, denn die Parameter stimmen. Die Gemeinde Wilhering freut sich auf neue Gestaltungsmöglichkeiten, um den Ort weiter zu attraktivieren. Auch das Stiftsgymnasium könnte von dieser Kooperation zwischen Wilhering und der Tabakfabrik profitieren. Besonders aber das Stift ist – auch dank seiner Geschichte, Haltung und seines Abtes – offen für Neues.

Vertreter von Tabakfabrik, Gemeinde Wilhering, Stift Wihering und Stiftsgymnasium diskutieren über eine mögliche Kooperation der Standorte.

Wandelgang und Behrensband

Das Stift wurde 1146 als Zisterzienserkloster gegründet und verdankt seine Entstehung einer reichen Adelsfamilie, den „Herren von Wilhering“. Im Jahr 1733 kam es zu einem Brand, gelegt durch ein 12-jähriges Mädchen, das von einem arbeitslosen Landarbeiter angestiftet wurde. Infolgedessen wurde die Neugestaltung der Kirche in Auftrag gegeben, das Ergebnis ist einer der bedeutendsten Rokoko-Bauten im deutschsprachigen Raum. Die heutige, prunkvolle Innenausstattung der Stiftskirche ist das Ergebnis einer sich über Jahre hinziehenden Ausgestaltungs- und Umgestaltungsarbeit, an der zahlreiche Dekorationskünstler mitwirkten. Die vorherrschenden Prinzipien der „gekonnten Planlosigkeit“, der „Einmaligkeit durch Zufall“ und der „schöpferischen Zerstörung“ haben einen der wichtigsten Sakralbauten Österreichs hervorgebracht. Diese Grundsätze, vor allem die „Einmaligkeit durch Zufall“ – die Serendipity – sind auch Säulen, auf denen die Tabakfabrik aufbaut.

Insofern liegen Mentalität von Kreativzentrum und Konvent näher beieinander als angenommen. „Abt Reinhold Dessl und ich leben in komplett unterschiedlichen Lebenswelten“, erzählt Chris Müller, Kreativdirektor der Tabakfabrik. „Wir haben aber ein gutes Verständnis miteinander und verfolgen ein gemeinsames Ziel – den befruchtenden Austausch untereinander, um unsere Gesellschaft zu verbessern. Der Tabakfabrik liegt der Wunsch inne, die Grenzen des Erwartbaren zu überschreiten – wer vermutet schon eine Zusammenarbeit zwischen uns und der Kirche? Aber Wandelgang und Behrensband sind sich ähnlicher, als man denkt – es geht um die Besinnung und das Nachdenken. Nur wenn wir möglichst viele Denkansätze berücksichtigen, können wir unser holistisches Weltbild erweitern.“

Für Tabakfabrik-Direktor Chris Müller geht es bei diesem Kooperationsprojekt darum, keine pathetische Plattform zu gründen, sondern den Austausch unterschiedlicher Ansätze zu fördern.

Während des NS-Regimes gingen einige Mönche des Klosters in den Widerstand, was der GESTAPO die Handhabe lieferte, das Kloster 1940 zu enteignen und die Mönche zu inhaftieren. Während des Krieges fungierte das Stift Wilhering unter anderem als Schulungsort der NSDAP, Technische Hochschule, Kriegsgefangenenlager und Lazarett, ehe nach Kriegsende die Mönche wieder zurückkehrten.

1955 wurde das bereits 1895 gegründete Stiftsgymnasium erweitert, denn „Bildung gehört zur DNA des Christentums“, erzählt Abt Reinhold Dessl beim Rundgang durch die Klosteranlage. 18 Mönche gehören dem Stift an, sie tragen die Seelsorge für 14 Pfarren. Seit 2019 lockt ein brandneues Museum BesucherInnen in das 875 Jahre alte Stift. Es präsentiert die aufgearbeitete Geschichte des Klosters in all seinen Facetten und vermittelt Informationen zu unterschiedlichsten Themenbereichen – von der Verbundenheit zur Natur und zur Kunst, dem Alltag im Kloster bis zur Spiritualität.

Abt Reinhold Dessl führt Tabakfabrik-Redakteuerin Marlene Penn durch das neue Museum und gibt Einblicke in die Bedeutung von Natur, Musik und Kunst für die Ordensgemeinschaft.

Gemeinsam für eine humanistische Zukunft im digitalen Zeitalter

Für die Tabakfabrik ist die Suche nach Kooperationspartnern nie abgeschlossen, warten doch immer spannende neue Blickwinkel. Das Ziel hinter dieser Bestrebung ist es, Innovation und Talent auch außerhalb der Tabakfabrik zu fördern und Menschen dazu zu motivieren, den Gedanken der Tabakfabrik auch an andere Orte zu tragen und dort umzusetzen. Chris Müller, Direktor der Tabakfabrik, ist sich sicher: „Wir können die Zukunft nur dann gut gestalten, wenn wir das gemeinsam tun.“

Dieser holistische Ansatz motiviert auch dazu, sich nicht nur mit den Themen Technologie und Soziales zu beschäftigen, die in der Tabakfabrik tonangebend sind, sondern auch über die Metathemen wie Philosophie, Ethik, Spiritualität und Religion zu sprechen. Das bringt aber vor allem erst in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit vielen Ansätzen fruchtbringende Ergebnisse.

Gerade hier gilt es am Bildungssystem anzusetzen, wie Werner Arrich von der GRAND GARAGE fordert: „Das Bildungssystem produziert an der realen Lebenswelt vorbei. Es gibt einen großen Gap zwischen dem, wie Schule funktioniert, und dem, wie die Welt aussieht und welche Kompetenzen sie verlangt. Schul- und Innovationssysteme müssen besser vernetzt und verzahnt werden.“

Künstler wie der Maler Fritz Fuchs oder der Komponist Balduin Sulzer, der dem Wilheringer Orden auch selbst angehörte, standen in ihrer Schaffensphase und darüber hinaus der Stift Wilhering sehr nahe und tragen Zeugnis von der Aufgeschlossenheit des Klosters.

Genau das ist das Ziel dieser Kooperation. Es sollen Formate entwickelt werden, die die Auseinandersetzung mit Digitalisierung fördern – beispielsweise zum Thema „Digitaler Humanismus“, der den Menschen in das Zentrum technologischer Entwicklungen stellt und nicht umgekehrt. Themen wie beispielsweise Künstlicher Intelligenz soll sich dabei aus humanistischer und nicht technologischer Sicht genähert werden.

Dass gerade ein Kloster der ideale Ort für solche Diskurse ist, erklärt Chris Müller: „Nur an Orten mit Geschichte zählt Digitalisierung tatsächlich etwas, denn bei etwas Unsichtbarem wie der Digitalisierung ist die Haptik der Räume umso bedeutender. Mit dieser Kooperation gelingt uns ein einzigartiger Brückenschlag zwischen einem historisch aufgeladenen Ort und den Themen der Zukunft.“

Altar und Artificial Intelligence lassen sich in der bedeutenden Rokoko-Kirche des Stifts Wilhering besser verbinden als gedacht.

 

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