Zehn oft gestellte Fragen und Antworten zur Tabakfabrik Linz

Was Sie schon immer über die Tabakfabrik wissen wollten – von der Geschichte des Areals über seine Neugestaltung bis zur Finanzierung: Wir haben 10 Fragen und Antworten für Sie zusammengestellt.

1. Was ist die Tabakfabrik Linz?

Wo einst pro Minute und Maschine rund 8.000 Zigaretten produziert wurden, rauchen nun die Köpfe kreativer Geister. Die stillgelegte „Tschickbude“ der Austria Tabakwerke entwickelt sich zu einer urbanen Drehscheibe für kulturelle und kreative Industrien.

Die Tabakfabrik Linz ist ein kollaborativer Konzern, in dem mittlerweile 1.800 Personen Zugang zu einem Arbeitsplatz haben. Das Areal ist der Sitz von rund 250 Organisationen und bietet optimale Raum-, Vernetzungs- und Rahmenbedingungen für branchenübergreifende Kooperation. Der Tabakfabrik Linz gelingt es, kleine und große Institutionen, lokale und globale Unternehmen zu vereinen und im Rahmen einer einzigartigen Innovationsökologie zu fördern. Diese kuratierte Diversität unterscheidet die Tabakfabrik Linz von anderen, homogenen Innovations-Hubs. Verglichen mit den Resultaten einer Erhebung aus dem Jahr 2016 konnten die dynamischen Wertschöpfungszyklen in der Tabakfabrik um 30 Prozent gesteigert werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des renommierten Wiener Forschungsinstituts FASresearch.

In seiner Neugestaltung definiert sich der revitalisierte Industriebau mit seinem Schwerpunkt auf zeitgenössischen Technologien und Kreativwirtschaft nicht als herkömmliches Museum oder Veranstaltungshaus: Er ist Werkbank, Bühne, Technologielabor, Resonanz- und Probenraum, kollaborativer Konzern und schließlich ein eigener fabrizierender Stadtteil.

Die Entwicklung der Tabakfabrik Linz wird das Profil der oberösterreichischen Landeshauptstadt nachhaltig prägen. In Linz stehen 205.000 Arbeitsplätze 192.000 EinwohnerInnen gegenüber – dies ist ein Alleinstellungsmerkmal im internationalen Standortwettbewerb der sogenannten „Second Cities“.

An jenem Ort, an dem einst die Zigarettenmarke Smart produziert wurde – Signet der weltberühmten Linzer Performance- und Medienkünstlerin Valie Export – formt sich nun eine „Smart Factory“ der kreativen Industrien, eine Modellfabrik der Zukunft: Aktuelle Studien belegen die steigende Relevanz der Tabakfabrik Linz im sogenannten „Smart Cities“-Kontext.

Die von Designer Peter Behrens entworfene denkmalgeschützte Industrieanlage gilt nicht nur als städteplanerische Chance und Projektionsfläche für die kulturelle und wirtschaftliche Zukunft von Linz. Als erster Stahlskelettbau Österreichs im Stil der Neuen Sachlichkeit ist sie auch architekturgeschichtlich von internationaler Bedeutung. Mit der Tabakfabrik schuf Behrens, der heute als Erfinder des Corporate Designs gilt, ein Gesamtkunstwerk im Sinne des radikalen Funktionalismus mit 70.000 Quadratmeter überdachter Nutzfläche. Mit Liebe zum Detail entwarf der Architekt die Gebäude und deren Einrichtung, von der Kaffeetasse über die Stühle bis zu den Farbmischungen. Der Mensch stand im Mittelpunkt seiner Überlegungen – ein Konzept, dem bei der Gestaltung der Tabakfabrik Linz im Sinne des „Social Designs“ auch heute eine zentrale Bedeutung zukommt.

Ein langlebiges Architekturjuwel

Die Geschichte der Tabakfabrik ist eine bewegte: 341 Jahre lang war das Gelände Produktionsort, zuerst von Textilien und später von Tabakwaren. 1850 als Notstandsmaßnahme gegründet, um die Gebäude der in Konkurs gegangenen Wollzeugfabrik weiterhin zu nützen, wurde die Tabakfabrik zum Symbol für einen Aufschwung durch Wandel. Das heutige Areal wurde in den 1930er-Jahren, auf dem Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise, in Etappen errichtet.

2001 kaufte der britische Gallaher-Konzern das Unternehmen im Zuge der Privatisierungswelle auf und veräußerte es an Japan Tobacco International. Der japanische Eigentümer entschied sich dazu, den Betrieb 2009 einzustellen. Einer der Gründe dafür dürften auch die strengen Auflagen durch den Denkmalschutz gewesen sein, unter den der Großteil der Gebäude zu Beginn der 1980er-Jahre gestellt worden war.

Die Stadt Linz kaufte schließlich 2009 die stillgelegte Tabakfabrik für 17 Millionen Euro zurück, inklusive Donauparkstadion. In Form eines top-down-initiierten Bottom-up-Prozesses soll das Architekturjuwel nun Raum bieten für eine Vielfalt an zeitgemäßen kulturellen und wirtschaftlichen Nutzungen, als verdichtetes Abbild einer zukünftigen Gesellschaft im Bereich der Arbeits- und Lebenswelten.

Im Sinne eines autopoietischen Systems (siehe unten) sollen sich die verschiedenen Teilbereiche möglichst aus sich selbst heraus entwickeln, organisieren und erhalten. Das Leitmotiv lautet: klare Regeln, keine Hürden. Dabei handelt die Tabakfabrik auf Basis von vier Leitlinien: Partizipation, Transparenz, Offenheit und Tragfähigkeit. Durch die gezielte Förderung transdisziplinärer Kooperationen wachsen die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Milieus zusammen. Die Tabakfabrik Linz definiert sich dahingehend als Summe ihrer einzelnen Teile, als erster kollaborativer Konzern.

2. Wie weit ist die Besiedelung der tabakfabrik linz fortgeschritten?

© archipicture

Foto: Archipicture

Eine zentrale Strategie innerhalb der sowohl kurz- als auch langfristigen Entwicklung und Revitalisierung der Tabakfabrik Linz war die Zwischennutzung. Im Sinne einer nachhaltigen und bedarfsgerechten Standortgestaltung wurden die Potenziale der unterschiedlichen Gebäude und Räumlichkeiten durch eine Zwischennutzung ausgelotet und somit für die endgültige Verwendung vorbereitet. Zwischennutzung ermöglichte eine frühzeitige, in der Praxis erprobte Qualitätssicherung, bot Platz für Experimente und stimulierte das urbane Leben.

Wegen Umbau geöffnet

Die Tabakfabrik wurde während der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren in Etappen gebaut. Heute kommt eine ähnliche Strategie zum Einsatz. Die Revitalisierung des gigantischen Areals geschieht Schritt für Schritt, frei nach dem Motto: wegen Umbau geöffnet.

Mit der fortschreitenden Renovierung und Adaptierung der einzelnen Bauteile der Tabakfabrik Linz wurde aus der Zwischennutzung eine dauerhafte Verwendung. Bereits vollständig revitalisiert und besiedelt sind heute der Bau 1, das ehemalige Zigarettenfabrikationsgebäude, der Bau 2, das ehemalige Pfeifentabakgebäude und das Magazin 3, wo einst die wertvollen Tabakballen aus dem Orient gelagert wurden. Kurz vor ihrer Fertigstellung steht die Sanierung des direkt an der Unteren Donaulände gelegenen Magazin 1 der Tabakfabrik, das künftig Ateliers für zeitgenössische KünstlerInnen beherbergen wird.

Bis Mitte des Jahres 2021 wird das Magazin 2 der Tabakfabrik Linz mit einer Fassade aus tausenden Glasbausteinen ausgestattet und verwandelt sich in einen Glaspalast der Kreativität. Bis Herbst 2021 erfolgt auch die Neugestaltung des Kraftwerks der Tabakfabrik Linz, das den Mittelpunkt des Areals bildet und einen multifunktionalen Hörsaal, einen Gastronomiebetrieb und eine Brauereianlage für Linzer Bier bieten wird.

Unter dem Arbeitstitel NeuBau3 entsteht auf dem Areal der Tabakfabrik bis 2025 eine neue Landmark, die aufgrund ihrer geografischen Schlüsselposition im innerstädtischen Gefüge von Linz als historische Chance für die Stadtentwicklung gehandelt wird. Nach den Plänen des renommierten Wiener Architekturbüros Zechner & Zechner realisiert die Bodner Gruppe mit dem NeuBau 3 ein Leuchtturmprojekt, das von der Jury des zweistufigen, EU-weiten Bieterverfahrens einstimmig als Sieger auserkoren wurde und als das höchste Gebäude von Linz gilt.

Mit der Fertigstellung des NeuBau3 wird die Tabakfabrik über eine Nutzfläche von 100.000 Quadratmetern verfügen.

3. Nach welchen Kriterien werden die Räume vergeben?

Das Büro von KLD © Archipicture

Vorrangig visionäre Kräfte

Von der Magnetwirkung der Tabakfabrik Linz zeugt die Liste der Ansiedelungsanfragen, die momentan über 600 Interessierte umfasst, von etablierten Unternehmen bis zu kreativen Startups und EPUs, die insgesamt eine Fläche von rund 120.000 m² benötigen würden. Dies ist ein klarer Beweis für das Bedürfnis nach einem Ort wie der Tabakfabrik Linz. Gemäß der Formel „vorrangig visionäre Kräfte“ haben sich bisher Einzelpersonen, Kleinunternehmen und Betriebe aus den Bereichen Kunst und Forschung, Kultur und Kreativwirtschaft sowie Industrie und Handwerk in dem ehemaligen Industriejuwel angesiedelt. Sie alle können sich mit der Gesamtvision identifizieren und leisten aufgrund ihrer unterschiedlichen Kompetenzen essenzielle Beiträge zur Weiterentwicklung der Tabakfabrik.

Nach intensiven Gesprächen, in denen die Bedürfnisse der Interessierten sowie die Möglichkeiten zu ihrer Beteiligung am Gestaltungskonzept ausgelotet werden, wird darauf geachtet, gezielt Milieus zu erzeugen, die voneinander profitieren. Konkret bedeutet dies die Schaffung optimaler Raum-, Vernetzungs- und Rahmenbedingungen. Synchron zur Fertigungsstraße der einstigen Zigarettenproduktion werden in der Tabakfabrik heute kreative Geschäftsbereiche im Sinne einer Produktionskette verzahnt: Am Anfang stehen Kunst und Forschung als Impulsgeber für Innovationen, die von der Kreativwirtschaft aufgegriffen und zu Prototypen entwickelt werden. Prototypen, aus denen Handwerk und Industrie schließlich marktfähige Produkte erzeugen, die direkt in der Tabakfabrik, etwa im Rahmen von Messen, präsentiert werden können.

Anstatt potenzielle Nutzungen frühzeitig einzuschränken, sollen möglichst viele verschiedene Verwendungsformen auf dem Areal verwirklicht werden. Damit werden die zentralen Anliegen, Wünsche und Sehnsüchte der Gesellschaft nicht nur verortet, sondern auch in der Praxis erprobt.

Foto: Archipicture

4. Wer produziert in der Tabakfabrik Linz?

Heute haben in der Tabakfabrik rund 1.800 Personen Zugang zu einem Arbeitsplatz – das sind sechs Mal so viele Menschen wie zum Ende der Zigarettenproduktion, als noch knapp 300 ArbeiterInnen in der Fabrik beschäftigt waren. In den nächsten Jahren – nach der Revitalisierung der übrigen Gebäude – wird sich diese Zahl um ein Vielfaches erhöhen. Die Tabakfabrik Linz entwickelt sich Schritt für Schritt zu einem pulsierenden und produzierenden Stadtteil, der im Vollausbau rund 3.000 Arbeitsplätze sowie ein Hotel, zahlreiche Bildungseinrichtungen und Wohn- oder Einkaufsmöglichkeiten bieten wird.

Eine Gesamtauflistung aller Mieterinnen und Mieter der Tabakfabrik Linz findet sich hier.

Trotz der geplanten Vermietung von großen Teilen des Gebäudekomplexes gilt die Devise, dass der schönste Blick öffentliches Gut ist. In diesem Sinne sollen die attraktivsten Räume, wie der oberste Stock des Bau 1, Teile des Kraftwerks oder die Säulenhallen nicht an private Unternehmen vermietet werden, sondern für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Die Tabakfabrik wird als „gläserne Manufaktur“ und im Zuge von Veranstaltungen regelmäßig in Szene gesetzt.

5. Was ist das Besondere an der Konzeption der TAbakfabrik Linz?

Die Tabakfabrik Linz definiert sich als universelle Fabrik der Zukunft, als Verdichtungsraum von Kunst und Forschung, Wissenschaft und Kreativwirtschaft, Industrie und Handwerk, Darstellung und Diskurs, Bildung und Ausbildung, als neuer Stadtteil, in dessen Zentrum die Schaffenskraft der Menschen steht. Sie ist ein „Ort null“, an dem vieles beginnt, initiiert durch Selbstzündungseffekte.

Von der Tschickbude zum Produktionspalast

Tabakfabrik Pfeile rot

Unter dem Stichwort „Neoindustrialisierung“ funktioniert das Areal durch eine ausgewogene Mischung aus gemeinnütziger und kommerzieller Nutzung als Perpetuum mobile von Emerging Technologies, Handwerk, Forschung und Bildung, Kunst, Kultur und Kreativindustrie. Diese Bereiche umfassen gewinnorientierte Privatunternehmen ebenso wie ehrenamtliche Initiativen, staatliche Einrichtungen oder Einzelpersonen. Sie sind naturgemäß dynamisch und heterogen und schaffen in gegenseitigem Austausch fruchtbare Synergien. Erst die lebendige Vielfalt an möglichen Nutzungen und deren Erhalt – im Gegensatz zu einer Homogenisierung der Interessen – garantieren die langfristige Anziehungskraft des Architekturjuwels für sämtliche Schichten und Altersgruppen. Das zentrale Konzept der Entwicklung eines kreativen, neoindustriell produzierenden Stadtteils bietet das Potenzial, Linz zu internationalisieren, und konzentriert sich auf die vier Säulen Kreativität, Soziales, Arbeit und Bildung.

Ein Hauptaugenmerk in der Gestaltung des neuen Stadtteils liegt auf der Ermöglichung und gezielten Förderung von Beteiligung und Mitwirkung. Die Sektionen der Tabakfabrik, wie beispielsweise Zweirad oder FreundInnen der Gartenkunst, funktionieren wie eine zeitgenössische Version der ArbeiterInnenvereine. Die Tabakfabrik als einstige Hochburg der ArbeiterInnenklasse soll sich in diesem Geiste als partizipatives Musterprojekt etablieren.

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Förderung der Kreativwirtschaft

Die Tabakfabrik Linz ist eine Drehscheibe der Kreativindustrie und ein Zentrum für Digitalisierung. EinzelunternehmerInnen und Betriebe im Bereich von Architektur, Technologie, Design, Kunsthandwerk, Medien oder Werbung haben sich bereits auf dem Areal angesiedelt. Mit der gezielten Förderung dieser Wachstumsbranche und ihrer Bündelung in der Tabakfabrik findet Linz Anschluss an einen internationalen Trend. Schließlich sind Wertschöpfung und Beschäftigung im Bereich der Creative Industries trotz wirtschaftlicher Krisen kontinuierlich steigend. Aus diesem Grund wurde die Vernetzungsplattform Creative Region Linz & Upper Austria bereits früh in der Tabakfabrik angesiedelt.

Grundsätzlich gilt: Je attraktiver das Areal für kreativwirtschaftliche Betriebe ist, desto größer wird auch der finanzielle Spielraum der Tabakfabrik für die Förderung kultureller Initiativen sowie für die Schaffung von Freiräumen für KünstlerInnen.

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Die Tabakfabrik vermietet Räume an externe VeranstalterInnen und führt Eigenveranstaltungen nur in Kooperation mit anderen Institutionen durch, etwa der Ars Electronica, dem Brucknerhaus, der Kunstuniversität, der Johannes Kepler Universität, der voestalpine, der Linz AG u.v.m. Die Bandbreite reicht dabei von Hoch- über Populär- bis hin zu Subkultur.

Außerdem werden interkulturelle Projekte, Veranstaltungen im Bereich der Cutting-Edge-Technologien, der Kreativwirtschaft, Politik, Gesundheit, Soziologie, Wissenschaft und Bildung bis hin zu Freizeitkultur und kommerziellen Events veranstaltet, die nicht zuletzt jenes Geld einspielen, das für die Unterstützung von künstlerischen Projekten notwendig ist. Im Veranstaltungskalender decken – gemäß der Gesamtkonzeption der Tabakfabrik als vielseitigem Stadtteil – Kongresse, Vorträge, Workshops, Lesungen, Messen, Konzerte, Pop-up-Stores, Märkte, Produktpräsentationen, Fotoshootings, Tauschbörsen, Filmvorführungen, Coachings, Performances, Festivals und Firmenevents viele Bedürfnisse und Bereiche urbanen Lebens ab.

Ein gestaffeltes „Robin Hood“-Mietsystem bei den Veranstaltungen unterscheidet zwischen Kommerz-, Kultur- und Sondertarifen und gewährleistet so auch die Inklusion finanziell schwächerer VeranstalterInnen.

Details zu bereits realisierten Veranstaltungen hier.

Grundsätzlich entspricht die Ausrichtung der Tabakfabrik Linz in weiten Teilen den Zielen des Entwicklungsprogramms EU2020, das „intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ durch neue Technologien, Bildung und Kreativität forciert.

 

6. Wie positioniert sich die Tabakfabrik linz im Stadtgefüge und wie wird das Projekt international wahrgenommen?

Stadtentwicklung Grafik

Die Tabakfabrik nimmt als neuer Stadtteil eine besondere Position im Gefüge von Linz ein. Sie schließt eine Lücke zwischen dem Zentrum, dem daran anschließenden Kultur- und Freizeitraum der Donaulände und dem sich kontinuierlich entwickelnden Hafenviertel. Ihre Entwicklung geht Hand in Hand mit der zentralen urbanen Planungsstrategie, die Linzer Innenstadt in Richtung Osten – entlang der Industriegebiete des Donauhafens und des voestalpine-Areals – zu erweitern.

Die verkehrstechnische Erschließung der östlichen Stadtbezirke bedeutet nicht nur eine Aufwertung der Tabakfabrik, sondern bietet auch die Chance, den rund 10.000 Quadratmeter großen Peter-Behrens-Platz als weiteren Hauptplatz im Gefüge der Stadt zu etablieren.

Internationales Beispiel für Best Practice

Zahlreiche Einladungen zu Stadtentwicklungs- oder Zukunftskongressen als Best-Practice-Beispiel sind ein unmissverständlicher Beweis für den hohen Innovationsgrad und Erfolg des Entwicklungskonzepts: Die behutsame Transformation und Gestaltung der Tabakfabrik wird international als Erfolgsmethode angesehen.

Harald Katzmair, der Gründer des Wiener Forschungsinstituts FASresearch, bezeichnet die Tabakfabrik Linz als „eines der spannendsten und bedeutendsten Zukunftsprojekte, die es zurzeit in Österreich gibt. – Und als Pionierin im Aufbau einer neuen industriellen Ökologie, die sich mit der Frage beschäftigt, wie wir künftig in einer Welt der Industrie-4.0 Innovationsprozesse planen können“.

Einladungen führten das Team der Tabakfabrik unter dem Motto „Learning from: Linz, Rotterdam, Hamburg, Basel“ zum Internationalen Erfahrungsaustausch des Kreativquartiers Dachauer Straße in München, zur internationalen Konferenz Cultural Heritage and the EU-2020 Strategy in Vilnius, zum Touring Exhibition Meeting in Berlin mit 130 ReferentInnen aus 30 Nationen, zur europäischen Fachtagung Kreativquartiere und Stadtentwicklung – Chancen, Probleme, Modelle in Augsburg oder zur internationalen CCI Klubenquete zu Kreativquartieren im Parlament Wien.

7. Woher kommt das Geld für die Tabakfabrik?

Geld aus der öffentlichen Hand benötigt die Tabakfabrik momentan in erster Linie für die Instandhaltung, Renovierung und Adaptierung des denkmalgeschützten Baubestands sowie für dessen inhaltliche Entwicklung. Der laufende Veranstaltungsbetrieb sowie die bereits vermieteten Bereiche erwirtschaften bereits 2014 Gewinne.

Für die Instandhaltung und Wartung der künftigen Entwicklungsflächen und die konzeptionelle Entwicklungsarbeit erhält die GmbH einen Zuschuss der Stadt Linz, dessen maximale Höhe jährlich vom Gemeinderat beschlossen wird. Umgekehrt bezahlt die Tabakfabrik für das Areal Miete an die Stadt Linz, die je höher ausfällt, je mehr von der Eigentümerin der Liegenschaft, der Immobilien Linz GmbH, baulich investiert wird.

Innenfinanzierung bei Vollbetrieb

Für die baulichen Investitionen in der Tabakfabrik Linz sind verschiedene Gremien der Stadt Linz verantwortlich, die in einem mehrstufigen Verfahren Budgetentscheidungen treffen. Die Projektentwürfe des Entwicklungsteams werden im Aufsichtsrat der Tabakfabrik und im Aufsichtsrat der Immobilien Linz GmbH besprochen, vom Gebäudemanagement der Stadt Linz planerisch und technisch entwickelt und im Gemeinderat der Stadt Linz beschlossen.

Die Tabakfabrik Linz bezieht also weder im laufenden Betrieb noch für ihre Investitionen Kulturförderung. Im Gegenteil: Bereits jetzt wird im Bereich der Veranstaltungen ein Plus erwirtschaftet. Mit dem Ertrag dieser kommerziellen Events werden preiswertere Tarife für Kunst- und Kulturveranstaltungen möglich. Auch die Mieteinnahmen steigen kontinuierlich mit der wachsenden Zahl der Pioniere und Pionierinnen. Teilweise sorgen bereits jetzt Betriebe für eine Rückfinanzierung der in Umbaumaßnahmen investierten Beträge. Langfristig wird sich die Tabakfabrik Linz nach Abschluss der wichtigsten Sanierungsarbeiten über Mieteinnahmen und die Erlöse von Veranstaltungen selbst finanzieren.

Behrensplatz

Foto: Florian Voggeneder / Ars Electronica Festival 2013

8. Was heißt „kollaborativer Konzern“?

Das Prinzip Tabakfabrik

Das Funktionsprinzip der Tabakfabrik Linz ist eine Fusion aus mehreren Aspekten: Sie funktioniert einerseits wie die Schweizer Uhrmacherstadt La Chaux-de-Fonds, deren Häuserzüge und Straßen inhärent, wie in einer Fabrik, angeordnet sind. Andererseits arbeitet sie nach einer Inspiration durch den Linzer Künstler und Architekten Herbert Bayer wie eine Konzernzentrale, deren Produktionskette zu einem geschlossenen Ring geformt ist – beachtenswert, wenn man bedenkt, dass die geplante neue Firmenzentrale von Apple ebenso funktionieren soll.

Die Tabakfabrik ist eine interdisziplinäre Produktionsstätte, ein kollaborativer Konzern mit einsichtigen Prozessen, in dem möglichst viele verschiedene Fachbereiche und Initiativen zusammenarbeiten und sich gegenseitig bereichern. Aufgrund der Größe der Liegenschaft und der sie umgebenden Stadt wäre die Erschaffung einer Monokultur weder sinnvoll noch möglich, darüber hinaus garantiert erst die sukzessive Gestaltung und Bespielung ein organisches und nachhaltiges Wachstum.

Durch die spartenübergreifende Ausrichtung der Tabakfabrik als Manufaktur der neuen Moderne kann flexibel auf neue gesellschaftliche Anforderungen reagiert werden. Schon Peter Behrens wusste, dass Freiräume für Experimente nötig sind, um dem Wandel der Zeit gewachsen zu sein, und hat dieses Wissen bei der Planung der Fabrik – mit offenen, großen und leicht adaptierbaren Räumen – umgesetzt.

Die gläserne Manufaktur der Moderne

VOG_5702VOG_5702Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten auf drastische Weise transformiert. Es wird an unterschiedlichen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten, als Ich-AG, in wechselnden Teamkonstellationen und ohne Festanstellung gearbeitet. Diese Form der Erwerbstätigkeit braucht neue, offene und vernetzte Räumlichkeiten.

In der Tabakfabrik als kollaborativem Konzern wird dem wirtschaftlichen Strukturwandel Rechnung getragen. Die Erforschung innovativer Formen der Zusammenarbeit ist nicht nur eine zentrale Vision in ihrem Konzept, sondern sichert auch dem Produktionsstandort Linz internationale Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft. Gerade jetzt ist die Schaffung neoindustrieller Arbeitsplätze, die hoch qualifizierte Fachkräfte nach Linz bringen, eine große Chance für die Stadtentwicklung und unabdingbar, um der Konkurrenz gewachsen zu bleiben.

 

9. Was sind die nächsten Schritte?

In der ersten Entwicklungsphase der Tabakfabrik wurde das lange Zeit unzugängliche Areal ganz bewusst als spektakulärer Veranstaltungsort in das Bewusstsein der Bevölkerung gerückt, um einen hohen Bekanntheitsgrad, feste Bindungen und breite Akzeptanz zu gewährleisten sowie wichtige Erkenntnisse über die räumlichen Möglichkeiten der Liegenschaft zu gewinnen. Und so ist die Tabakfabrik heute ein Fixpunkt im kulturellen Leben von Linz: In den vergangenen vier Jahren haben rund 400.000 Menschen ca. 450 Veranstaltungen besucht.

Ars Electronica

Foto: Florian Voggeneder / Ars Electronica Festival 2013

Vom Eventhabitat zum Kreativbiotop

In der zweiten Transformationsphase wandelt sich die Tabakfabrik Linz nun durch die zunehmende Ansiedelung von kulturellen und kreativen Industrien planmäßig vom Eventhabitat zum Kreativbiotop, vom KonsumentInnentreff zum ProduzentInnentreff. Zentraler neuer Begegnungsort für die rund 300 Pioniere und Pionierinnen, ihre KundInnen und Gäste ist die Klub Kantine. Dieser Dreh- und Angelpunkt mit urbanem Flair bietet einen Restaurant- und Cafébetrieb mit regionalen und biologischen Produkten, ein TV-Studio sowie eine Bühne für Lesungen, Vorträge, Kleinkunst oder experimentelle Formate.

2014 beginnt der Planungsprozess für die Revitalisierung des wichtigsten und größten Gebäudes auf dem Areal: Bau 1, der rund 24.000 Quadratmeter umfasst und in seiner Gesamtheit unter Denkmalschutz steht. Etappenweise sollen Einheiten des gigantischen Haupttraktes energieeffizient und ressourcenschonend nutzbar gemacht werden.

Netural Büro

Die großen Werkstätten im Herzen der Tabakfabrik, dem Kraftwerk, wurden bereits instand gesetzt und MieterInnen und ProjektpartnerInnen zur Verfügung gestellt, sowohl für traditionelle Handwerke als auch für professionelle künstlerische Projekte. Die Werkstätten bestehen aus einer Schlosserei, Tischlerei, Spenglerei, Dreherei, Schweißerei, Fräserei und Druckerei.

Zukünftig ist die Kreation eines „FabLab“ geplant, einer offenen Hightech-Werkstatt mit 3-D-Drucker, Lasercutter und CNC-Maschinen. Dies soll ein motivierendes Umfeld für den kreativen Umgang mit neuen Technologien schaffen, die Umsetzung innovativer Ideen fördern und die Attraktivität des Produktionsstandortes künftig noch weiter erhöhen. Beabsichtigt ist auch die Schaffung eines Hörsaals in den großzügigen Räumlichkeiten des Kraftwerks. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit der kreativen Umwelt im Wortsinn: das Kraftwerk als Skulptur, von der ausgehend ausgebildet, gelehrt und Innovation beforscht wird.

  • Produkt-, Verfahrens-, Geschäftsmodell- und Managementinnovation
  • technische und organisatorische Innovation
  • Serviceinnovation
  • Geschäftsmodellinnovation
  • Designinnovation
  • soziale Innovation
  • zivile Innovationen
  • open innovation

Foto: Netural/Sighart

10. Wie kann man sich den Alltag in dieser gläsernen Manufaktur in der Zukunft vorstellen?

Die Tabakfabrik Linz ist nicht nur aus architektonischer Sicht visionär, sie definiert sich im Geiste ihres Schöpfers Peter Behrens auch heute als dynamische Produktionsstätte, als Versuchsanstalt für Visionen und für die konkrete Umsetzung gesellschaftspolitischer oder sozioökonomischer Zukunftsmodelle.

Daher beschäftigt sich das Entwicklungsteam der Tabakfabrik nicht nur mit der Gegenwart, sondern entwickelt auch Konzepte für das Jahr 2040. In diesem Jahr könnte sich die EinwohnerInnenzahl der Stadt Linz verdoppelt haben und das Leben der Menschen wird neuen Gesetzmäßigkeiten folgen.

Der Arbeitsmarkt entwickelt sich immer mehr in Richtung der sogenannten neuen Selbstständigkeit. Während die hohe individuelle Autonomie in der Gestaltung der Arbeit von vielen als positiv gesehen wird, wird diese oft mit hohen finanziellen Risiken und chronischem Konkurrenzdruck bezahlt. In der Tabakfabrik soll diesen negativen Entwicklungen bewusst entgegengesteuert werden.

Inspiriert von den Ideen und Konzepten des Thinktanks NANK (Neue Arbeit – Neue Kultur) rund um den Sozialphilosophen und Begründer der sogenannten New-Work-Bewegung Frithjof Bergmann, wird das Ziel verfolgt, neue berufliche Milieus für kreative Mikrounternehmen zu schaffen und zu erproben.

Unter den Begriffen „Co-Working“ und „Community Production“ stehen gemeinschaftliche Arbeitsstrukturen im Mittelpunkt, die effektive lokale wie internationale Synergien ermöglichen und eine kleinteilige, dezentrale Produktion durch die Bereitstellung von Hightech-Infrastrukturen und durch Ressourcenteilung fördern. Kooperation anstelle von Konkurrenz soll den Alltag bestimmen.

Pionierin

Foto: a_kep

Red Jobs – die Arbeit der Zukunft

Längerfristiges Ziel ist der Aufbau eines Zentrums für Produktions- und Innovationsforschung in der Tabakfabrik, um die gegenwärtig wie zukünftig auf dem Areal angesiedelten UnternehmerInnen und Initiativen sowie die interessierte Öffentlichkeit auf wissenschaftlicher Ebene bestmöglich zu unterstützen und aktive Forschungsarbeit für die Produktion von morgen zu leisten. Damit wird eine frühzeitige Integration neuer Erkenntnisse gewährleistet und wirtschaftlicher sowie technologischer Vorsprung gesichert. In diesem Kontext ist auch die Absicht zu sehen, in der Tabakfabrik neue Ausbildungssysteme für neue Berufsbilder zu schaffen.

Von den ArbeitnehmerInnen der Zukunft werden Fähigkeiten erwartet, die in unserem Bildungssystem bislang noch keinen Platz haben. Eine neue Art der Lehrlingsausbildung könnte diesen Anforderungen gerecht werden, am Standort Tabakfabrik konkret mit dem Lehrberuf „FabriksallrounderIn“.

Diese Ausbildung soll sowohl handwerkliche als auch geistige, technologische und künstlerische Kompetenzen vermitteln und alle Arbeitsbereiche, die es in der Tabakfabrik gibt, umfassen: von Verwaltung und Organisation über Technik und Veranstaltungsmanagement bis zu Kommunikation und Marketing. Außerdem können durch die angesiedelten Pioniere und Pionierinnen sämtliche Lehrbereiche der Kreativindustrie abgedeckt werden.

Es gibt Green Jobs, Schwarzarbeit, Blaue Montage. Eine universelle und praxisnahe Lehre könnte zur Basis für „Red Jobs“ werden, erfüllende Arbeiten im facettenreichen Tätigkeitsfeld der Kreativwirtschaft. Die Tabakfabrik Linz wird zum (Aus-)Bildungskollektiv: Ergänzt durch den „Rohstoff“ Ausbildung verschmilzt die Funktionsweise von Raum und Struktur mit gesellschaftlichen Erfordernissen.

 

Tabakfabrik und Autopoiese

Systeme organisieren, entwickeln und verändern sich im Rahmen einer besonderen Eigenlogik. Sie benötigen für ihren Aufbau unterschiedliche Elemente und vernetzen sich zu unterschiedlichen Strukturen. Man spricht von Autopoiese, wenn diese Elemente und Strukturen durch das System selbst produziert und reproduziert werden. Ein autopoietisches System erschafft und erhält sich demnach aus sich selbst heraus.

Das Konzept der Autopoiese bedeutet jedoch nicht, dass Kontakte nach außen, zur Umwelt des Systems, vollständig unterbunden sind. Diese Kontakte sind vorhanden und haben Bedeutung für die Existenz des Systems, können jedoch das System nicht diktieren. Es reguliert selbst das Ausmaß und die Form der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von seiner Umwelt.

In diesem Sinn bewahrt sich das System eine relative Autonomie; es handelt auf der Grundlage der eigenen systemspezifischen Logik und ist deshalb in seinen Beziehungen und Handlungen nicht beliebig von außen steuer- oder kontrollierbar.

Im Hinblick auf den Aufbau von sozialen Systemen nimmt der Begriff der Kontingenz eine theoretisch zentrale Position ein. Nicht nur in den Beziehungen zur Umwelt, sondern auch in inneren Beziehungen zwischen den Elementen existiert das Phänomen, dass niemals alle möglichen, sondern immer nur einige wenige Beziehungen zustande kommen und das System prägen.

Die Beziehungen zwischen Elementen folgen keiner festen Regel; es gibt weder notwendige noch unmögliche Verknüpfungen: Sie sind kontingent. Die Folge ist, dass Systeme mit großen Ähnlichkeiten bei den bestimmenden Elementen dennoch sehr unterschiedlich organisiert sind.

Aus sich selbst heraus: Ein Modell für den Entwicklungsprozess der Tabakfabrik

Im Konzept 4020 Linz – Tabakfabrik 2040: Strategie zur weiteren Entwicklung der Tabakfabrik Linz sind vier Säulen genannt, die als Grundelemente des neuen Stadtteils implementiert werden sollen: Kreativität, Soziales, Arbeit und Bildung. Diese Elemente bilden eine strukturelle Vorgabe für die inhaltliche Entwicklung der Tabakfabrik; hinzu kommt ein zeitgemäßes Verständnis des öffentlichen Raumes.

Der Begriff des öffentlichen Raumes bedeutet nicht, dass es sich vor allem um einen öffentlich subventionierten Raum handelt, sondern zielt in erster Linie auf das Moment der Aneignung dieses Raumes für soziale, kulturelle und politische Angelegenheiten ab. Im Detail wird das Konzept des öffentlichen Raumes selbst Gegenstand der Entwicklung und Ausdifferenzierung im Gesamtprozess. Die politischen TrägerInnen und das Management der Tabakfabrik sind zentrale Akteure und Akteurinnen, die dieses Konzept bearbeiten. Aber auch die vier Aktivitätsbereiche sind in diese Entwicklungsarbeit involviert. Aus einer systemtheoretischen Perspektive bilden alle Akteure und Akteurinnen – politische Repräsentanz, Management und Pioniere/Pionierinnen aus den vier Aktivitätsbereichen – Subsysteme eines Gesamtsystems und entwickeln sich in relativer Autonomie.

Im Hinblick auf die Prozesse der inneren Entwicklung und auf die Wechselwirkungen der Subsysteme untereinander stellen Autopoiese und Selbstorganisation bedeutsame Faktoren dar.

Der Vorteil, die Entwicklung der Tabakfabrik modellhaft als autopoietisch zu betrachten, besteht darin, dass daraus eine sowohl realistische als auch innovative Management- und Entwicklungsstrategie erwächst. Der traditionelle Zugang besteht darin, ein Areal wie die Tabakfabrik als lebloses Objekt von Interventionen, die von außen gesetzt werden, zu betrachten. In einem linearen Gestaltungsprozess werden Ideen gesammelt, Planungen erstellt und umgesetzt. Dabei setzen die PlanerInnen vielfach voraus, alle bedeutsamen Kontextfaktoren zu kennen; in der Regel ist diese Annahme jedoch nicht realistisch. Lernprozesse, in denen neue Erfahrungen gemacht und durch korrigierende Eingriffe rekursiv in den Gesamtprozess eingebracht werden können, sind in dieser traditionellen Sichtweise nicht vorgesehen. Das verstärkt die Gefahr, dass die Planung an inneren und äußeren Gegebenheiten vorbeigeht.

Ein systemtheoretisch inspirierter Zugang erkennt jedoch an, dass sich die Akteure und Akteurinnen in ihren jeweiligen Funktionen und Bereichen im Sinn von Subsystemen eines Gesamtsystems nach spezifischen Eigenlogiken organisieren und entwickeln. Welche Beziehungen die Akteure und Akteurinnen innerhalb der Bereiche oder auch zwischen unterschiedlichen Bereichen eingehen, wird der relativen Autonomie der Subsysteme überlassen. Auf diese Weise entsteht Raum für eine Vielfalt von kontingenten Verknüpfungen zwischen allen beteiligten AkteurInnen. Dieser Zugang ist realistischer, weil er das Moment der Kontingenz in allen Entwicklungsprozessen anerkennt und entsprechende Phasen der Reflexion und der Restrukturierung in den Prozess der Gestaltung einbauen kann. Der systemtheoretische Zugang ist auch innovativ. Er nutzt das spezifische kreative Potenzial, das entsteht, wenn Systemen Raum für Selbstorganisation geboten und das produktive Moment von Kontingenz zugelassen wird. Die Steuerung des Gesamtsystems wird nicht aufgegeben. Sie konzentriert sich einerseits auf die Implementierung von politischen, wirtschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen, an denen sich die Subsysteme zu orientieren haben. Andererseits bringt sie die steuernden Akteure und Akteurinnen dazu, sich als Teile eines Gesamtsystems zu betrachten, die zwar eine bestimmte Machtposition einnehmen, jedoch in dieser Position auch in Wechselwirkung mit und in Abhängigkeiten von Subsystemen stehen. Diese Selbstwahrnehmung vermittelt in der Regel einen sozial informierten, kompetenten und reflexiven Stil der Führung.

Headerfoto: Netural/Sighart