Das „Nicotin Valley“ wird zur grünen Lunge

Die inhaltliche Transformation der Tabakfabrik Linz von der klassischen Industrie der Zigarettenerzeugung hin zum Hotspot für Creative Industries, Digitalisierung und Start-ups findet mittlerweile auch internationale Beachtung. Spätestens mit dem NeuBau3 wird der Wandel des Industrieareals auch physisch greifbar – die Tabakfabrik wird grüner, weitgehend autofrei und bietet noch mehr Lebensraum.

Der Klimawandel ist in aller Munde. Viele sehen die Klimakatastrophe auf uns zukommen, manche meinen, wir sind längst mittendrin. Der Amazonas-Regenwald brennt, die Polkappen schmelzen. Ist es fünf vor Zwölf oder schon fünf nach? Haben wir noch einige Jahre Zeit oder ist es längst zu spät?

Welche Maßnahmen kann jeder von uns setzen, mögen sie auch noch so klein und wirkungslos erscheinen, solange China oder Trump auf unser Klima pfeifen, solange weltweit 1400 Kohlekraftwerke in Planung sind, mehr schwerölgetriebene Monster-Kreuzfahrtschiffe die Ozeane durchpflügen als je zuvor, pro Tag bis zu 200.000 Verkehrsflugzeuge die Atmosphäre verpesten, sich der Pro-Kopf-Fleischkonsum seit den 1960ern verdoppelt hat?

Es wäre nicht die Tabakfabrik, wenn hier apathisch auf das Ende gewartet werden würde. Im Gegenteil: Wir sind überzeugt, dass es in der fabulous factory Kräfte gibt, die einen Beitrag dazu leisten können, die Katastrophe abzuwenden. Vom Start-up bis zum Corporate, von der Non-Profit-Organisation bis zur Bürgerinitiative. Wir sind besonders stark, wenn wir kollaborieren. Wir brauchen nicht nur die besten Ideen für den Klimaschutz, wir müssen sie auch umsetzen. Wir wollen besser werden und gemeinsam Kräfte entwickeln, die weit über die Fabrik hinausstrahlen. Und doch müssen wir klein beginnen, indem wir erzählen, was ist und was kommen wird, und indem wir fragen, wie wir besser werden können.

Der Spitzahorn vor der Lösehalle ist ein wertvoller Schattenspender und kühlt im Sommer den gesamten Peter-Behrens-Platz. © Stefan Feichtinger / Fesch’markt

Es gibt vier große Bäume im Innenhof der Tabakfabrik. Eine Buche, eine Linde, einen Nußbaum und einen Spitzahorn. Jeder für sich ist ein Geschenk, das wir gerade an heißen Tagen – der diesjährige Juni etwa war in Linz mit 23,4 Grad Celsius Durchschnittstemperatur 5,2 Grad heißer als der Juni-Durchschnittswert 1981 bis 2010 – besonders zu schätzen wissen. Es gilt als erwiesen, dass ein großer Baum die Luft in seiner direkten Umgebung um bis zu fünf Grad Celsius kühlen kann. Der Asphalt im Baumschatten kann sogar um bis zu 20 Grad Celsius kühler sein als jener in der Sonne. Linde, Buche und Spitzahorn am Peter-Behrens-Platz sind echte Baumriesen und mehrere Jahrzehnte alt. Das ist umso entscheidender, weil ein Baum erst ab einem Alter von etwa 20 Jahren seine volle „Kühlwirkung“ entfalten kann. Umso mehr gilt es wertvolle Altbaumbestände in den Städten zu schützen – deshalb werden die großen Bäume in der Tabakfabrik regelmäßig von Baumpflegern untersucht. Ohnehin gilt: Je bewachsener unversiegelte Flächen sind, umso wertvoller. Grüner Rasen allein ist zwar besser als Asphalt, muss aber oft bewässert werden. Büsche, Sträucher und Bäume brauchen hingegen meist keine Bewässerung und kühlen zusätzlich die Luft.  Linz hat großen Aufholbedarf, was die Begrünung der Innenstadt betrifft, die Sünden vergangener Jahrzehnter sind nur dann reversibel, wenn es jetzt ein klares Bekenntnis dazu gibt, dass Bäume wichtiger sind als zusätzliche Parkplätze.

Grünflächen und Bäume haben in der Tabakfabrik einen großen Stellenwert. Vom im Westen gelegenen NeuBau3, der bis zum Jahr 2023 realisiert wird, bis zum Urban Canyon zwischen den Magazinen im Osten des Areals. Visualisierung: Korbwurf Landschaftsarchitektur

 

Auch bei den Planungen zum NeuBau3, jenem Leuchtturmprojekt im Westen des Areals, das bis zum Jahr 2023 realisiert werden soll und für das gesamte Viertel ungeahnte Möglichkeiten eröffnen wird, wird auf die Begrünung großes Augenmerk gelegt, wie erste Planungen zeigen. Zwischen den einzelnen Bauteilen wird es viel Platz für Bäume und Sträucher geben, auch die Dächer sollen zum Teil begrünt werden.

Wesentlich früher, noch bis zum Jahresende, entsteht im Vorbereich der Magazine eine ganze Grün-Landschaft, die sich bis in den so genannten Urban Canyon zwischen Lösehalle und Magazin 3 (Grand Garage) ziehen wird. Sanfte, begrünte Hügel mit ausgewählten Pflanzen werden dem Peter-Behrens-Platz einen ganz neuen Charakter und eine Qualität geben, die noch mehr zum Verweilen einlädt. Die Umgestaltung und Begrünung geht Hand in Hand mit der Grundsatzentscheidung, das Areal bis 2023 so autofrei wie möglich zu machen.

Auch der Bereich zwischen Magazin 1 und Magazin 2, die so genannte Alaska-Passage, wird mit Grünflächen aufgewertet und trägt als Korridor nach Osten zur Belüftung des gesamten Behrens-Platzes bei. Im Urban Canyon werden die Bassins des ehemaligen Biofilters mit Erde gefüllt: Dort, wo früher die Ausdünstungen der Tabakproduktion gefiltert wurden, können bald Bäume Wurzeln schlagen und gemeinsam mit einer üppig begrünten Fassade ein einzigartiges urbanes Biotop im Vorbereich der Lösehalle schaffen. Diese Zone wird nicht zuletzt bei Konzerten, Kongressen und anderen Großveranstaltungen zum Rückzugsort und zur innerstädtischen Oase.

In der Ludlgasse ist der Vorbereich zum Bau 1 schon seit vielen Jahren ein Dorado für HobbygärtnerInnen, die dort gemeinsam als Kollektiv Wachstumsphase Gemüse ziehen und damit  ein  innerstädtisches Biotop für Urban Gardening geschaffen haben.  All die Grünflächen in und rund um die Tabakfabrik werden angesichts der fortschreitenden Erwärmung der kommenden Jahre noch wertvoller. Sie müssen geschützt, genützt und gepflegt werden. Eine logische Erweiterung einer grünen Tabakfabrik ließe sich auf den weitläufigen Dachflächen und an den Fassaden vollziehen – hierbei müssen allerdings immer die Vorgaben des Denkmalschutzes berücksichtigt werden. Das gleiche gilt für Vertical Farming, also gezielter Nahrungsmittelproduktion mitten in der Stadt, zu der es bereits in den vergangenen Jahren Ansätze gab.

Neue Wege, grüne Inseln, Ruhezonen, Schanigärten: Bis 2023 soll die Tabakfabrik so autofrei wie möglich sein. Dadurch entsteht viel Platz für innerstädtisches Leben. Visualisierungen: Korbwurf Landschaftsarchitektur

 

 

Neun Jahre, neun Tage

In der Tabakfabrik begreifen wir die Klimaveränderung auf unserem Planeten nicht nur als ökologische, sondern auch als soziale Herausforderung. Wenn wir davon ausgehen, dass noch neun Jahre Zeit bleiben, um die schlimmsten Folgen abzuwenden, ist jeder Tag, der tatenlos vorübergeht, ein verlorener Tag. Wenn wir uns vor Augen führen, dass viele Menschen neun Tage vor dem nächsten Gehaltseingang auf Pump leben müssen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, wird deutlich, dass Klimaschutz nicht auf die Kosten der Ärmsten in unserer Gesellschaft gehen kann,  dass bloßer Aktionismus, schnell ausgesprochene Verbote und Urteile in vielen Fällen kontraproduktiv sind. Wie schwer sich die Politik mit klaren Standpunkten zur aktuell drängendsten Frage der Menschheit tut, zeigt sich zum Beispiel an der Schnitzel-Diskussion. Darf Fleisch teurer werden, weil bei seiner Produktion überdurchschnittlich viel Kohlendioxid entsteht – auch um den Preis, dass es dann für manche teuer, vielleicht zu teuer wird? Haben wir ein Recht darauf, jeden Tag Fleisch zu essen? Diese und andere Fragen möchten wir mit euch, unseren PionierInnen und Pionieren diskutieren. Noch mehr als das. Wir möchten von euch wissen, welche konkreten Maßnahmen wir in der Tabakfabrik setzen können, unseren Beitrag zu leisten.

Zum Beispiel:

  • Wie können wir weniger Müll produzieren?
  • Wie könnte ein wirtschaftlich tragfähiges Carsharing-Modell in der Tabakfabrik aussehen?
  • Warum fahren so viele unsere PionierInnen mit dem Auto?
  • Gibt es Produkte und Dienstleistungen made in Tabakfabrik, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten? Wie können wir diese Produkte und Dienstleistungen noch stärker und wettbewerbsfähiger machen?
  • Gibt es Veranstaltungen zum Thema, für die wir die Tabakfabrik als Plattform nutzen könnten?
  • Wie überzeugen wir das Bundesdenkmalamt davon, Dachflächen für die Begrünung und für Solar-/Photovoltaikanlagen freizugeben?
  • Wie können wir Ressourcen sparen – von Strom über Wärme bis zu vermeidbaren Autofahrten?
  • Wie können wir Ressourcen im Sinne der Kollaboration noch besser gemeinsam nutzen?

Wir freuen uns auf eure Antworten. Helfen wir alle zusammen, die Tabakfabrik noch grüner zu machen.

Auch unser Weg hat erst begonnen!

Visualisierung: sonaar

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