Am Samstagmorgen des 05. Septembers 2015 hat sich die Tabakfabrik Linz spontan bereit erklärt, hunderten notleidenden und traumatisierten Flüchtenden temporär eine sichere Bleibe zu bieten. Buchstäblich über Nacht sind gemeinsam mit den Hilfsorganisationen und unzähligen Freiwilligen in der Tabakfabrik Linz 500 Schlafplätze geschaffen worden. Das Team der Tabakfabrik war das gesamte Wochenende bis in die frühen Morgenstunden unermüdlich im Einsatz, um eine Fläche von rund 5.600 Quadratmetern in ein humanitäres Flüchtlingslager zu verwandeln.
Parallel zur Vorbereitung der Hallen haben die MitarbeiterInnen der Tabakfabrik Linz in Kooperation mit dem Verein DevLoL ein Internetcafé eingerichtet sowie mehrere Büros für die Einsatzkräfte, ein kleines Lazarett und einen Kinderspielbereich.
Die liebevolle Gestaltung des Kinderspielbereichs und die gute Versorgung der erschöpften, zum Teil kranken Menschen war vor allem auch dank der überwältigenden Menge an Sachspenden möglich, die bereits eine Woche zuvor für die Flüchtlingshilfe gesammelt worden waren. Eine rund 500 Quadratmeter große Halle in der Tabakfabrik Linz wurde insgesamt vier Mal zur Gänze mit Hilfsgütern gefüllt.
Menschen aller Schichten und Altersklassen, bepackt mit Taschen, Schachteln und Koffern, sind dem Spendenaufruf der Tabakfabrik gefolgt. Kleine Kinder kamen an der Hand ihrer Mutter, um ihre Stofftiere zu verschenken.
Ausgangspunkt der Hilfsaktion war ein Aufruf von Hilfsorganisationen, dringend benötigte Gebrauchsgegenstände wie Hygieneartikel, Schreibmaterialien, gebrauchte Computer und alte Handys, Spielsachen, Schlafsäcke, Decken und Kleidung für das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen zu sammeln. Doch das Fehlen einer zentralen Koordinierungs- und Informationsstelle für Privatspenden hat eine zielgerichtete Verteilung der Spenden zum damaligen Zeitpunkt nahezu unmöglich gemacht.
Nach intensiven Recherchen und zahlreichen Gesprächen mit ExpertInnen beschloss das Team der Tabakfabrik, mit der Volkshilfe Oberösterreich zusammenzuarbeiten, die in den Magazinen der Tabakfabrik ein sinnvoll sortiertes Zentrallager eingerichtet hat, aus dem Spenden bedarfsorientiert und zielgerichtet an verschiedene Betreuungsstellen und Einrichtungen verteilt werden.
So ist sichergestellt, dass die Spenden auch tatsächlich jenen zugutekommen, die sie am dringendsten benötigen, dass Bedürftige passende Kleidung und Schuhe erhalten oder Mütter die richtige Windelgröße bekommen.
Im Wissen um die Zustände in Traiskirchen entschieden zwei Mitarbeiter der Tabakfabrik, Didi Hruschka und Chris Sennlaub, an ihrem freien Wochenende zum Erstaufnahmezentrum zu fahren, um sich selbst ein Bild zu machen. Sie erkundigten sich nach aktuell dringend benötigten Hilfsgütern und beluden den Kleinbus der Tabakfabrik Linz mit Hygieneartikeln und einer Auswahl an Spielsachen, Schreibutensilien, Nahrungsmitteln, Schuhen, Rucksäcken und Decken.
Vor der Mauer, die das EAZ Traiskirchen umgibt, haben Didi Hruschka, Chris Sennlaub und einige FreundInnen die Spenden vor allem all jenen Flüchtlingen gegeben, die seit Wochen obdachlos vor dem Lager auf der Straße übernachten müssen. Und sie waren nicht allein. Alle 50 Meter stand ein Privatauto, aus dem hilfsbereite BürgerInnen Spenden verteilten. Die Not in Traiskirchen ist so groß, dass sich binnen Minuten vor jedem Auto Menschentrauben bildeten.
„Ich habe eine über 70-jährige Frau gesehen, die allein gekommen ist selbst einen Wagen voller Spenden gefahren hat. Aus den entlegensten Gegenden Österreichs reisen Privatpersonen an. Sie alle helfen in ihrer Freizeit, weil sie sehen, dass es nicht reicht, was der Staat bisher gemacht hat“, sagt Didi Hruschka.
Die Verhältnisse in Traiskirchen – Verhältnisse, die man sonst nur aus Krisengebieten kennt, nicht aber aus Österreich, dem zweitreichsten Land der EU – beschäftigen Chris Sennlaub und Didi Hruschka bis heute.
„Es ist eigentlich unmöglich, die Einzelschicksale zu ertragen. Die Menschen sind traumatisiert, haben Unvorstellbares durchgemacht und ein dementsprechend großes Mitteilungsbedürfnis. Ich habe eine Dame kennengelernt, die ca. zwei Wochen vor dem grauenvollen Tod von rund 70 Flüchtlingen in einem verschweißten Kühllaster mit einem ebensolchen Kühltransporter nach Österreich gekommen ist“, sagt Chris Sennlaub.
„Wir haben einem kleinen Buben einen alten Scooter geschenkt, ihr hättet sein Gesicht sehen sollen, das plötzlich zu strahlen begann. Als er mit seinem Scooter zurück ins Lager wollte, verweigerte ihm ein Mitarbeiter der Firma ORS den Zutritt und sagte, er könne den Roller nicht mitnehmen. Der Bub begann bitterlich zu weinen, wir haben immer und immer wieder darum gebeten, dass der Kleine den Scooter ins Lager bringen darf. Ohne Regung beharrte der ORS-Mitarbeiter auf seinem Verbot und argumentierte, der Kinderscooter würde eine gefährliche Waffe darstellen. Also sagten wir dem kleinen Jungen leise, er solle ohne Roller ins Lager gehen und auf der anderen Seite der Mauer auf uns warten. Mit einer Räuberleiter kletterten wir heimlich hinauf und übergaben den Scooter. Zum ersten Mal in unserem Leben waren wir froh und stolz, etwas „Illegales“ gemacht zu haben. Nie werde ich das Lächeln des Buben vergessen, der uns mit großen Augen dankbar ansah und auf unser Drängen hin schließlich davonlief, den Roller fest in seinen kleinen Händen haltend“, erzählt Didi Hruschka.
Mittlerweile hat sich die Situation für Kriegsflüchtlinge in der EU weiter verschärft: In Ungarn werden Flüchtende in so genannten „Registrierungscamps“ in Verwahrung genommen, nach einer kurzen Öffnung hat Deutschland die Grenzen wieder dicht gemacht und in der Europäischen Union konnte trotz aller Dringlichkeit bis dato kein gangbarer Weg zur Lösung der Situation gefunden werden.
„Gerade in Krisensituationen braucht es Gestalter statt Verwalter. Wenn sich Überforderung breitmacht, müssen neue Mechanismen zur Bewältigung der Probleme entwickelt werden. Der Verwaltungsapparat sollte die Möglichkeit bekommen, schneller reagieren zu können. So sinnvoll bestimmte Verordnungen im Normalbetrieb auch sein mögen, unter den gegenwärtigen Umständen muss humanitäre Hilfe an erster Stelle stehen. Es ist heute an der Zeit, ein Zeichen der Menschlichkeit zu setzen. Nur dadurch schaffen wir jene wirklich offene Gesellschaft zurück, in der wir eigentlich leben möchten“, so Chris Sennlaub.
Ihr Einsatz für die Flüchtlingsbetreuung betrachten Chris Sennlaub, Didi Hruschka und viele, viele andere als Selbstverständlichkeit, ob sie sich nun mitten in der Nacht um die Notversorgung am Bahnhof kümmern oder die Verteilung von Spenden organisieren.
Die Direktion der Tabakfabrik Linz bedankt sich ausdrücklich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die geleistete Hilfe innerhalb und außerhalb der Tabakfabrik – ein Engagement, das von großer Bedeutung für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist.