Strandortsicherung Aorta

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Als eines der ersten Konzepte hat das Entwicklungsteam der Tabakfabrik schon 2012 unter dem Begriff Aorta versucht, die Stadt in einen anderen als den gewohnten Kontext zu setzen. Aufgrund der Position der Tabakfabrik zwischen dem bestehenden Zentrum rund um den Hauptplatz und dem Entwicklungsgebiet des Hafens lag es nahe, diese als Brückenelement zwischen den beiden Gebieten zu definieren und sich Verbündete und Kooperationspartner entlang dieser neuen, weichen Achse zu suchen. Das Ziel war, die Stadt neu zu denken und dadurch neue Möglichkeitsräume aufzutun. Als Beispiel für die Belebung der Aorta kann die Einrichtung der neuen Chill-Out-Area vor dem Brucknerhaus gesehen werden. Das vorliegende Modell versucht einen Kompromiss nach einer jahrelangen, teilweise hitzig geführten Debatte zu finden, in der es vorrangig um die Frage der Kommerzialisierung öffentlichen Raumes ging. Die Strandfläche soll explizit auch NichtkonsumentInnen zum Verweilen einladen und gleichzeitig mit einer kommerziell ausgerichteten Gastronomie ein kulinarisches Angebot schaffen. Die gestalterische Planung wird von PionierInnen der Tabakfabrik, den Any:time Architekten, umgesetzt. Mehr Informationen zum Stranden finden sich in der Pressemitteilung der Stadt Linz.

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Zur Kontextualisierung verweisen wir hier noch auf unser Positionspapier zur Aorta:

Die polyzentrale Stadt der Zukunft

Wie keine andere österreichische Stadt hat Linz im vergangenen Jahrhundert einen umfassenden ökonomischen, sozialen und kulturellen Wandel und damit einen umfangreichen gesellschaftlichen Transformationsprozess vollzogen. Auch aus Stadtentwicklungssicht besitzt Linz im Vergleich zu Wien, Salzburg oder Graz ein Alleinstellungsmerkmal, das urbane Entwicklungen nachhaltig geprägt hat: Die verhältnismäßig geringe Determinierung durch die Altstadt.

Diese fehlende Dominanz des historischen Zentrums und die Synthese von vermeintlich Gegensätzlichem, wie etwa Industrie und Kultur, begünstigte in Linz die frühe Entwicklung eines Wesenszugs, der von Urbanistik-ForscherInnen heute als ein maßgebendes Charakteristikum der Stadt der Zukunft gehandelt wird: Polyzentralität.

Im Gegensatz zu monozentristisch organisierten Stadträumen werden polyzentral gegliederte Ballungszentren den vielschichtigen Ansprüchen einer zeitgenössischen, hochgradig heterogen strukturierten Gesellschaft viel eher gerecht. Vielfalt bedeutet in diesem Zusammenhang nicht Beliebigkeit oder Chaos, sondern im Gegenteil bewusst arrangierte Diversifikation. Im städtischen Großraum werden in vielfältigen Gemeinschaften unterschiedliche Atmosphären und Funktionen angeboten, das Verwirklichen unterschiedlichster Lebensmodelle und divergenter Ideale  ermöglicht. Eine bunte Stadt für eine immer stärker individualisierte Gesellschaft.

In der gezielten Förderung der Differenzierung urbaner Zentren nimmt die Tabakfabrik Linz als Leuchtturmprojekt und Mittelpunkt eines neu erschlossenen Stadtteils nicht nur geografisch – an der Schnittstelle von Stadtmitte, Donauraum und Industriegebiet – , sondern auch thematisch – durch die Konzentration auf kulturelle und kreative Industrien – eine Schlüsselrolle ein, die im Stadtentwicklungskonzept „Aorta“ näher erläutert wird.

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Der Verlauf der Aorta

Die Aorta, Sinnbild einer neuen Lebensader, die sich vom historischen Stadtkern bis zum boomenden Hafenregion und dem Industrieraum der voestalpine ausdehnt, verläuft von Ars Electronica Center über die Nibelungenbrücke zu Kunstuniversität, Lentos Kunstmuseum und StifterHaus, erstreckt sich weiter flussabwärts vorbei an Brucknerhaus, Parkbad, Arcotel und ihrem pulsierenden Herz, der Tabakfabrik, um schließlich im Hafengebiet bei Posthof, Time’s up und der voestalpine Stahlwelt zu münden. Sie verbindet Kulturinstitutionen, freie Kunstinitiativen, Industriebetriebe, Freizeiträume, Hotels, sowie touristische Attraktionen und schlägt so Brücken zwischen staatlichen und privaten, zwischen kommerziellen und nicht-gewinnorientierten Aktivitäten, zwischen öffentlichem und privatem Raum.

Durch ihre Ausrichtung parallel zum Fluss soll die Aorta für mehr Lebensqualität sorgen, indem sie Linz näher an die Donau rückt und die besondere Lage der Stadt an einem der größten Flüsse Europas betont. Gemeinsame Festivals, Sportevents, oder bauliche und verkehrstechnische Maßnahmen, wie etwa die derzeit in Planung befindliche zweite Straßenbahnachse „Linie 4“ zwischen Mühlkreisbahnhof und Bulgariplatz, können dazu beitragen, die verschiedenen Kultur-, Freizeit- und Industriebetriebe entlang dieser Aorta stärker zu verknüpfen. Diese geografische Ausdehnung in Richtung der östlichen Gewerbegebiete und damit einhergehend die Schaffung einer zweiten urbanen Lebensader abseits der Landstraße ist nicht nur ein zentrales Ziel im zeitgenössischen Stadtentwicklungskonzept von Linz, sondern deckt sich auch mit dem internationalen Trend der Re- bzw. Neoindustrialisierung. Aus diesem Grund gilt es, gezielt nachhaltige städtebauliche Akzente zu setzen und konkrete Angebote zu entwickeln, um dieser für die Evolution von Linz so wesentlichen Achse zu besonderer Attraktivität zu verhelfen. Denn während das Naherholungsgebiet am südlichen Donauufer mit seinen prominenten Kulturbauten als zentraler Treffpunkt seit jeher den Pulsschlag der Stadt bestimmt und enormes Entwicklungspotential besitzt, wird die Untere Donaulände nicht als Lebensader, sondern lediglich als Hauptverkehrsader gesehen.

 

Die Aorta als urbane Lebensader

Unter dem Arbeitstitel „Blue Boulevard“ soll dieses Image beseitigt und die wenig reizvolle Fahrbahn zwischen Kunstmuseum Lentos und Tabakfabrik in eine Promenade nach dem Vorbild vieler prominenter europäischer Uferstraßen verwandelt werden. Mit einer von Bäumen umgebenen Flaniermeile für FußgängerInnen. Somit könnte die vielbefahrene Straße ohne Beeinträchtigung der Transportwege entscheidend an Lebensqualität und Prestige gewinnen. In diesem Kontext wäre es auch sinnvoll, die Häuserzeile vis-à-vis der Donaulände mit einer Infrastruktur auszustatten, die zum Verweilen einlädt. – So wie sich gegenüber des Kunstmuseums Lentos bereits eine lebendige Melange aus Kulturvereinen, Bars, Restaurants und kleinen Geschäften entwickelt hat.

Im Zuge der Neugestaltung dieses Areals sollte im Bereich von Unterer Donaulände 21-36 auch geprüft werden, ob auch das eine oder andere Gebäude die Belebung des öffentlichen Raums fördern würde. Im Erdgeschoß könnten Cafes, Restaurant oder Lokale zum Verweilen einladen, in den darüber liegenden Geschossen sind diverse öffentliche und private Nutzungen denkbar.

Denn abseits der Restaurants von Kunstmuseum Lentos und Arcotel gibt es in dieser Umgebung trotz der landschaftlich schönen Lage kaum Gastronomie. Und so würde das Projekt „Blue Boulevard“ nicht nur für Lärmberuhigung sorgen und die Achse zwischen Hauptplatz und Tabakfabrik nachhaltig beleben, sondern auch als bedeutendes Scharnier zwischen der Innenstadt und dem Industriegebiet von Linz fungieren. Die Donau sollte an der Lände stärker spürbar, der Fluss Teil des städtischen Raums werden.

Ein weiteres Konzept für die Erschließung dieser Region wäre die Etablierung einer Wassertaxi-Verbindung, die in vielen europäischen Städten längst zum Alltag gehört. Liegt Linz doch nicht nur an einem der größten, sondern auch an einem der schönsten Flüsse Europas. Die Errichtung einer zentralen zusätzlichen Anlegestelle für Wassertaxis, etwa durch die Ausgrabung eines Hafenfingers neben der Eishalle, hätte zahlreiche Vorteile. – Linz wäre damit nicht nur um eine Touristenattraktion reicher, auch die Strecke zwischen der Eisenbahnbrücke und dem Industriehafen würde eine Aufwertung erfahren, die Tabakfabrik als Handelsdrehscheibe kreativer Produkte besäße darüber hinaus ein trimodales Logistiknetzwerk und die verkehrstechnische Erschließung des Industriehafens könnte gerade im Bereich der Personentransports intensiviert werden, um die BewohnerInnen von Linz zu animieren, diesen Teil der Stadt stärker zu nutzen.

In diesem Zussammenhang bietet auch der Neubau der Eisenbahnbrücke die historische Chance, den Stadtraum näher an die Donau zu bringen. Begleitend zur neuen Brückenstraße könnten Gebäude mit hohen Arkaden FußgängerInnen und Radfahrende zur Brücke geleiten. Die Stadt kommt erstmals auch auf dem rechten Flussufer zum Wasser. Nibelungenbrücke und neue Eisenbahnbrücke definieren so eine räumliche und funktionale Spange, die die Donaulände dreiseitig präzise fasst.

Vom Winter- zum Wohnhafen: Drei Landfinnen, Urbay’s und schwimmende Wohnungen

Ein wichtiges Thema ist in diesem Zusammenhang auch die Schaffung von innovativem Wohnraum im Winter- und Donauhafen. Gilt das Hafenviertel doch in nahezu allen Metropolen der Welt als Herzstück der Stadt. Ein zentrales Anliegen ist daher, im Linzer Hafengebiet unter dem Titel „Wohnen am Wasser“ mit Hilfe origineller Baukonzepte neue Landmarks zu schaffen. Etwa durch schwimmende Wohnungen, also die Errichtung von Apartments oder ganzen Häusern auf Schiffsrümpfen. Aufgrund der modularen Bauweise würde diese moderne, flexible Wohnform viele verschiedene Bedürfnisse unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen abdecken und die Wertschöpfung in Linz halten, indem durch die Gestaltung attraktiver Lebensräume der Tendenz des Brain-Drain konkret entgegengewirkt werden kann.

Die Tatsache, dass sich der Hauptstandort der Österreichischen Schiffswerften AG im Linzer Hafen befindet, garantiert außerdem, dass große Teile dieser schwimmenden Domizile vor Ort gebaut werden können und damit auch die Sicherung regionaler Arbeitsplätze und die Minimierung logistischer und ökologischer Belastungen. Einem internationalen Trend folgend, könnte so das Immobilienangebot von Linz um neuartige, urbane und junge Wohnformen erweitert werden. Mögliche Nutzungsszenarien reichen von Studentenheimen über klassische Büros und Wohnungen bis hin zu Boardinghouses für die zahlreichen Pendler aus ganz Oberösterreich, für mobile Kreativschaffende, die einige Monate in Linz arbeiten, oder für Geschäftsreisende und Touristen. Bei der Situierung dieser Häuser am Wasser könnte man auf die gewerberechtlichen Anforderung räumlich und zeitlich sehr flexibel reagieren. Sollte ein Wohnen in der Nähe der Industrie zwischenzeitlich nicht erwünscht sein, können die Boote verlegt und an einer passenderen Stelle verankert werden.

 

Als idealer Standort für diese Wohneinheiten am Wasser bieten sich stromabwärts die drei „Landfinnen“ (Trenndämme) entlang des Winter-, Handels- und Tankhafens an, also jene Landzungen, die den Fluss vom jeweiligen Hafenbecken trennen und ihre flossenartige Form dem Kräftespiel der Donauströmung verdanken. Momentan sind diese schmalen Landspitzen gar nicht oder nur dünn besiedelt und finden vorwiegend für sportliche oder industrielle Zwecke Verwendung. Ihre Kolonisierung müsste unter Berücksichtigung der am Hafen angesiedelten Großindustriebetriebe und der damit verbundenen Sicherheitsvorschriften zur Beherrschung von Risiken durch gefährliche Stoffe (z.B. Seveso-II-Richtlinie) auf mittel- bzw. langfristige Sicht in Etappen geplant und vollzogen werden. Doch schon jetzt demonstrieren im Hafengebiet angesiedelte Kulturvereine, wie etwa Time’s Up, die sich seit vielen Jahren mit partizipativer Stadtplanung befassen, jenes enorme Potential, das diese Region über die gegenwärtige gewerbliche Nutzung hinaus birgt. Die Etablierung einer ausgewogenen Mischung aus zeitgemäßen Wohnformen, kulturellen Angeboten und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung in diesem Stadtteil würde Linz in eine urbane Hafenstadt verwandeln und damit auf mehreren Ebenen maßgeblich aufwerten.

In einem ersten Schritt soll sich der Winterhafen unweit der Tabakfabrik durch die Besiedelung und Neugestaltung der ersten Landfinne vollends zum Wohnhafen entwickeln. Unter dem Titel „Donaupromenade“ wurden dort bereits 185 klassische Eigentumswohnungen errichtet. Diese konventionelle Häuserzeile sollte nun um möglichst abwechslungsreich gestaltete, unterschiedliche Wohnformen auf verdichtetem Raum ergänzt werden, umrahmt von weitläufigen, frei zugänglichen Grünflächen und durchbrochen von reizvollen, sicheren Zugängen zur Donau. Um der Öffentlichkeit keinen Quadratmeter dieser attraktiven Zone am Wasser wegzunehmen, sollten die Gebäude aufgeständert werden und damit die Erdgeschoßzonen frei bleiben.

Durch die Entwicklung eines auf nachhaltige Mobilität fokussierten, zeitgemäßen Verkehrskonzepts, das eine großzügige Anzahl von Fahrradstellplätzen, Schiffstaxiverbindungen, Carsharing-Systeme und e-Tankstellen beinhaltet, könnte die derartige Erschließung des Winterhafens zu einem Vorzeigeprojekt für zukunftsorientierten Wohn- und Städtebau werden. Als Beispiel intelligenter Standortentwicklung, die Linz nicht nur einen weiteren urbanen Hotspot beschert, sondern auch die visuelle Strahlkraft der Stadt, etwa in Gestalt einer neuen Skyline oder Waterfront, erhöhen könnte.

Die in unmittelbarer Nähe zum Winterhafen gelegene Tabakfabrik als Umschlagplatz kultureller und kreativer Industrien bietet durch ihre Positionierung an diesem stadtplanerisch neuralgischen Punkt die einzigartige Chance, eine lange bestehende Lücke zwischen den divergierenden Zentren von Linz zu schließen.

Die Revitalisierung des mit rund 80.000 m² Nutzfläche gesegneten Areals, das aufgrund seiner schieren Größe für sich schon einen vibrierenden neuen Stadtteil bildet, setzt wichtige Impulse für die Verdichtung des polyzentralen Grundgefüges entlang der neuen Aorta von Linz. Diese zusätzliche Lebensader, die frisches Blut in den städtischen Organismus pumpen soll, ist essentiell für eine urbane Entwicklung am Puls der Zeit und trägt der für das heutige Selbstverständnis von Linz so wichtigen Verbindung von Industrie und Kultur auch geografisch Rechnung.

Texte: Andreas Kleboth, Chris Müller, Nina Fuchs, Thomas Diesenreiter

beteiligte PionierInnen



any:time architekten

Hinter dem Namen any:time verbergen sich Christoph Weidinger und Jürgen Haller. Mehr Informationen zum Architekten-Duo unter www.any-time.net  

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