Zehn oft gestellte Fragen und Antworten zur Tabakfabrik Linz

Netural/Sighart

Was du schon immer über die Tabakfabrik Linz wissen wolltest – von Pionier:innen bis Finanzen: Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten für dich zusammengestellt.

1. Was ist die Tabakfabrik Linz?

Wo einst 8.000 Zigaretten pro Minute und Maschine produziert wurden, zünden heute kreative Funken. Die einstige Tabakfabrik, die „Tschickbude“ von Austria Tabak, dem ehemaligen österreichischen Tabakmonopol, entwickelt sich zum urbanen Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft. In seiner Neugestaltung definiert sich das revitalisierte Industriegebäude als Knotenpunkt für zeitgenössische Technologien und Kreativwirtschaft, nicht als konventionelles Museum oder Veranstaltungsort. Vielmehr ist es Werkbank, Bühne, Labor, Proberaum, Zentrum für kreative Zusammenarbeit und letztlich ein urbanes Quartier – einzigartig.

Die Entwicklung der Tabakfabrik prägt das Profil der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz nachhaltig. Über 210.000 Einwohner und ebenso viele Arbeitsplätze sind ein Alleinstellungsmerkmal im internationalen Wettbewerb der sogenannten „Second Cities“. Wo einst „SMART“ Zigaretten produziert wurden, floriert heute eine „Smart Factory“ der Kreativwirtschaft. Studien belegen die Relevanz der Tabakfabrik Linz im „Smart Cities“-Kontext.

Tabakfabrik Linz © Archipicture

Tabakfabrik Linz © Archipicture

Die denkmalgeschützte Industrieanlage, entworfen von Peter Behrens und Alexander Popp, dient als Projektionsfläche für die kulturelle und wirtschaftliche Zukunft von Linz. Als erster Stahlskelettbau Österreichs im Stil der Neuen Sachlichkeit ist sie auch architekturgeschichtlich von internationaler Bedeutung. Behrens, bekannt als Erfinder des Corporate Designs, schuf ein Gesamtkunstwerk im Sinne des Radikalen Funktionalismus; eine überdachte Fläche von 70.000 m2. Mit Liebe zum Detail entwarfen er und Popp die Gebäude und die Einrichtung, vom Kaffeebecher bis zur Farbmischung. Der Mensch stand im Mittelpunkt ihrer Überlegungen – ein Konzept, dem bei der Gestaltung der Tabakfabrik Linz im Sinne des „Social Designs“ auch heute eine zentrale Bedeutung zukommt.

Ein beständiges Architekturjuwel

Über 350 Jahre lang war das Gebäude eine Produktionsstätte, zunächst für Textilien, später für Tabakwaren. 1850 als Notmaßnahme zur Nutzung der bankrotten Tuchfabrik gegründet, wurde die Tabakfabrik Linz zum Symbol für den Wiederaufbau durch Transformation. Das heutige Areal wurde während der Weltwirtschaftskrise 1929–1935 in Etappen errichtet. 2001 kaufte die britische Gallaher-Gruppe das Unternehmen im Zuge einer Privatisierungswelle; diese Gruppe wurde 2007 an „Japan Tobacco International“ verkauft. Der japanische Eigentümer entschied sich dazu, den Betrieb 2009 einzustellen. Einer der Gründe dafür dürften auch die strengen Auflagen durch den Denkmalschutz gewesen sein, unter den der Großteil der Gebäude zu Beginn der 1980er-Jahre gestellt worden war.

2009 kaufte die Stadt Linz die verlassene Tabakfabrik samt Donauparkstadion für 17 Millionen Euro. In einem Top-down-initiierten Bottom-up-Prozess wiederhergestellt, bietet das Architekturjuwel nun Raum für eine Vielzahl zeitgemäßer kultureller und wirtschaftlicher Nutzungen. Sie ist ein komprimiertes Abbild einer zukünftigen Gesellschaft, von künftigen Arbeits- und Lebensbedingungen.

Im Sinne eines autopoietischen Systems entwickeln, organisieren und unterstützen sich die verschiedenen Bereiche nach ihren eigenen Vorstellungen. Das Leitmotiv lautet: Klare Regeln, keine Barrieren. Dabei handelt die Tabakfabrik nach vier Prinzipien: Partizipation, Transparenz, Offenheit und Tragfähigkeit. Durch die gezielte Förderung transdisziplinärer Kooperationen wachsen die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Milieus zusammen. Die Tabakfabrik Linz definiert sich dahingehend als Summe ihrer einzelnen Teile, als erster kollaborativer Konzern. 

2. WAS BEDEUTETE „ZWISCHENNUTZUNG“?

© Sabine Kneidinger

Die Tabakfabrik Linz wurde während der Weltwirtschaftskrise in Etappen errichtet. Seit 2009 wurde eine ähnliche Strategie verfolgt. Die Reaktivierung dieses riesigen Areals erfolgte schrittweise; es war „wegen Umbau geöffnet“.

Eine grundlegende Strategie im Zuge der Entwicklung und Revitalisierung der Tabakfabrik Linz war die Zwischennutzung von 2009 bis zur Vollauslastung der Mietflächen im Jahr 2022. Die temporäre flexible Nutzung ungenutzter Flächen war für eine nachhaltige und bedarfsgerechte Standortgestaltung, insbesondere im Hinblick auf seine Dimension, unabdingbar.

Das Potenzial der vielfältigen Gebäude und Räume wurde ausgelotet und für die endgültige Verwendung vorbereitet, ermöglichte eine frühzeitige, in der Praxis erprobte Qualitätssicherung, bot Platz für Experimente und stimulierte das urbane Leben als Innovationsgenerator. Die Zwischennutzung steigerte die öffentliche Wahrnehmung und wertete den Standort damit auf. Nicht zuletzt stellte sie eine wichtige finanzielle Absicherung für die Eigentümerin und die Entwicklung des Standorts dar.

„Wegen Umbau geöffnet“

Die Zwischennutzung umfasste deshalb unterschiedliche Bereiche von Kultur über Kreativwirtschaft bis Bildung. Der Betrieb sah sowohl die Beherbergung von Einzelveranstaltungen als auch von Dauermieter:innen vor. Künstler:innen, kulturelle und soziale Organisationen, Freiberufler:innen, Bildungseinrichtungen, Werbetreibende und Digitalagenturen, Techniker:innen und Softwareentwickler:innen, Architekt:innen, Designer:innen, Medienunternehmen und Handwerker:innen – sie alle agierten in unterschiedlichen Raumstrukturen. Sie nutzten – und nutzen – die Räume als Ateliers, Veranstaltungsorte, Co-Working-Spaces, Büros, Hörsäle, Praxen und Werkstätten.

3. Warum ist das Konzept so besonders?

Die Tabakfabrik Linz definiert sich als universelle Fabrik der Zukunft, als Kompressionskammer von Kunst und Forschung, Wissenschaft und Kreativwirtschaft, Industrie und Handwerk, Darstellung und Diskurs, Bildung und Ausbildung. Im Zentrum des neuen Stadtteils steht die Schaffenskraft der Menschen. Er ist ist ein „Ort null“, an dem vieles beginnt, initiiert durch Selbstzündungseffekte.

Von der „Tschickbude“ zum Produktionspalast

Im Sinne der „Neo-Industrialisierung“ funktioniert das Areal durch eine ausgewogene Mischung aus nicht-kommerzieller und kommerzieller Nutzung als Perpetuum Mobile aus Zukunftstechnologien, Handwerk, Forschung und Bildung, Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft. Dazu zählen gewinnorientierte Privatunternehmen ebenso wie ehrenamtliche Initiativen, staatliche Einrichtungen oder Einzelpersonen.

Sie sind naturgemäß dynamisch und heterogen und schaffen in gegenseitigem Austausch fruchtbare Synergien. Erst die lebendige Vielfalt an möglichen Nutzungen und deren Erhalt – im Gegensatz zu einer Homogenisierung der Interessen – garantieren die langfristige Anziehungskraft des Architekturjuwels für sämtliche Schichten und Altersgruppen. 

Das Leitkonzept, ein kreatives, neoindustriell produzierendes Stadtquartier zu entwickeln, bietet das Potenzial, Linz weiter zu internationalisieren. Es setzt auf die vier Säulen Kreativität, Soziales, Arbeit und Bildung.

Förderung der Kreativwirtschaft

Die Tabakfabrik Linz ist eine Drehscheibe für die Kreativwirtschaft und ein Zentrum für Digitalisierung. Einzelunternehmer:innen und Organisationen aus den Bereichen Architektur, Design, Kunsthandwerk, Medien oder Werbung produzieren vor Ort. Durch die gezielte Förderung dieser Wachstumsbranche und deren Bündelung vor Ort schließt Linz zu einem internationalen Trend auf: Die Wertschöpfung und Beschäftigung in der Kreativwirtschaft steigt trotz aller Wirtschaftskrisen kontinuierlich an.

Aus diesem Grund wurde die Vernetzungsplattform Creative Region Linz & Upper Austria bereits in früh in der Tabakfabrik angesiedelt. Je attraktiver das Gebiet für Kreativwirtschaft ist, desto größer ist die finanzielle Spielraum der Tabakfabrik, kulturelle Initiativen zu fördern und Freiräume für Künstler zu schaffen.

Gefragte Eventlocation

Aufgrund ihrer unkonventionellen und einzigartigen Raumaufteilung hat sich die Tabakfabrik Linz zu einem gefragten Ausstellungsort für internationale Shows und potentielle Kassenschlager entwickelt. Diese Ausstellungen bilden ein wirksames Instrument zur demokratischen Wissensvermittlung, sie sprechen mit ihrem niedrigschwelligen Ansatz breite Bevölkerungsschichten an. Zuvor gingen sie an Linz vorüber, weil passende Ausstellungsorte fehlten. Mittlerweile gab es mehrere Blockbuster-Ausstellungen in der Tabakfabrik, von „Titanic“ über „Körperwelten“ und „Tutenchamun“ bis hin zu „The Mystery of Banksy – A Genius Mind“, die Hunderttausende Besucher anzogen.

Ausstellung Körperwelten in Linz | Gunther von Hagens' KÖRPERWELTEN, Institut für Plastination, Heidelberg, www.koerperwelten.de

Ausstellung Körperwelten in Linz | Gunther von Hagens‘ KÖRPERWELTEN, Institut für Plastination, Heidelberg, www.koerperwelten.de

 

Die Tabakfabrik vermietet Räume an externe Veranstalter:innen und führt Eigenveranstaltungen nur in Kooperation mit anderen Institutionen durch, etwa der Ars Electronica, dem Brucknerhaus, der Kunstuniversität, der Johannes Kepler Universität, der voestalpine, der Linz AG u.v.m. Das Spektrum reicht von Klassik über Pop bis Subkultur. Diese interkulturellen Projekte und Veranstaltungen aus den Bereichen Spitzentechnologien, Kreativwirtschaft, Politik, Gesundheit, Soziologie, Wissenschaft oder Bildung, Freizeitkultur sowie dem kommerziellen Bereich bringen nicht zuletzt auch nötige Mittel für die Förderung und Unterstützung künstlerischer Projekte ein.

Kongresse, Vorträge, Workshops, Lesungen, Messen, Ausstellungen, Pop-up-Stores, Märkte, Produktpräsentationen, Fotoshootings, Filmvorführungen, Trainings, Performances, Festivals und Firmenfeiern viele Bedürfnisse und Bereiche urbanen Lebens im Sinne des Gesamtkonzepts der Tabakfabrik als multifunktionales Quartier ab.

Grundsätzlich entspricht die Ausrichtung der Tabakfabrik Linz in weiten Teilen den Zielen des Entwicklungsprogramms EU2020, das „intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ durch neue Technologien, Bildung und Kreativität forciert.

4. Welche Idee steht hinter der Auswahl der Visionär:innen?

Gemäß der Formel „vorrangig visionäre Kräfte“ haben sich Einzelpersonen, Kleinbetriebe und Unternehmen aus den Bereichen Kunst und Forschung, Kultur- und Kreativwirtschaft, Ingenieurwesen und Handwerk angesiedelt. Sie alle können sich mit der Gesamtvision identifizieren und leisten aufgrund ihrer unterschiedlichen Kompetenzen essenzielle Beiträge zur Weiterentwicklung der Tabakfabrik.

Nach intensiven Gesprächen, in denen die Bedürfnisse aller Interessierten sowie deren mögliche Beteiligung an der Standortgestaltung verstanden wurden, entstanden Milieus, die voneinander profitieren. Konkreter ausgedrückt: Durch die Schaffung optimaler Raum-, Vernetzungs- und Rahmenbedingungen sowie die Positionierung dieser Betriebe in einer bestimmten Topologie entstand eine Produktionskette: Kunst und Forschung dienen als Generatoren für Innovationen, neuartige Produkte und Dienstleistungen, die dann von der Kreativwirtschaft erforscht und produziert werden. Handwerk und Industrie stellen die marktfähigen Produkte her, die in Showrooms ausgestellt und vermittelt werden. Anstatt potenzielle Nutzungen frühzeitig einzuschränken galt es, gerade in der ersten Revitalisierungsphase möglichst viele Nutzungsarten vor Ort zu schaffen. So wurden die Wünsche und Ansprüche der Gesellschaft nicht nur verortet, sondern auch erprobt.

Das Büro von KLD © Archipicture

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5. Wer ARBEITET in der Tabakfabrik Linz?

Die Tabakfabrik Linz ist Heimat von rund 250 Organisationen unterschiedlicher Größe, die rund 2.900 Arbeitsplätze bieten. Diese Organisationen sind in unterschiedlichen Branchen tätig – sie sind KünstlerInnen, Start-ups, soziale Vereine und Programme, Werbe- und Medienagenturen, Business Angels, Gründer:innen, Investor:innen, Studierende, Technologie- und Softwareentwickler:innen, Architekt:innen, Designer:innen, Produzent:innen und viele mehr. Sie nutzen die Tabakfabrik als Büro, Atelier, Co-Working-Space, Hörsaal, Werkstatt, Besprechungsraum und Veranstaltungsort.

Die Tabakfabrik Linz ist für ihre Pionier:innen ein Labor, in dem das zeitgemäße Prinzip des Produzierens in Netzwerken und losen Kommunikationsstrukturen erlebbar wird. Das Potenzial der Kultur- und Kreativwirtschaft zeigt sich besonders im digitalen Sektor, der Genres wie Film, Video, Musik oder Animation miteinander verschmilzt.

Zu den Pionier:innen der Tabakfabrik zählen:

6. Wie positioniert sich die Tabakfabrik linz im StadtgefügE – Und wie wird das Projekt international wahrgenommen?

Die Tabakfabrik nimmt als neuer Stadtteil eine besondere Position im Gefüge von Linz ein. Sie schlägt eine Brücke zwischen dem Zentrum, dem daran anschließenden Kultur- und Freizeitraum der Donaulände sowie dem sich kontinuierlich entwickelnden Hafenviertel und ist integraler Bestandteil der Digitalen Meile.

Ihre Entwicklung geht Hand in Hand mit der städtebaulichen Strategie, die Linzer Innenstadt in Richtung Osten – entlang der Industriegebiete des Donauhafens und des voestalpine-Areals – zu erweitern.

vog.photo

Internationales Best Practice Beispiel

Das einzigartige Revitalisierungskonzept erregt internationale Aufmerksamkeit und gilt seit langem als Best-Practice-Beispiel bei wissenschaftlichen Kongressen und Forschungsprojekten weltweit.

Harald Katzmair, der Gründer des Wiener Forschungsinstituts FASresearch, bezeichnet die Tabakfabrik Linz als „eines der spannendsten und bedeutendsten Zukunftsprojekte, die es zurzeit in Österreich gibt. – Und als Pionierin im Aufbau einer neuen industriellen Ökologie, die sich mit der Frage beschäftigt, wie wir künftig in einer Welt der Industrie-4.0 Innovationsprozesse planen können“.

Zahlreiche Einladungen zu Stadtentwicklungs- oder Zukunftskongressen als Best-Practice-Beispiel sind ein unmissverständlicher Beweis für den hohen Innovationsgrad und Erfolg des Entwicklungskonzepts: Die behutsame Transformation und Gestaltung der Tabakfabrik wird international als Erfolgsmethode angesehen.

7. WIE WIRD DIE TabakFABRIK FINANZIERT?

Von 2009 bis 2016 erhielt die Tabakfabrik GmbH  für die Entwicklung und Instandhaltung des denkmalgeschützten Geländes einen Zuschuss der Stadt Linz, dessen maximale Höhe jährlich vom Gemeinderat beschlossen wurde. 2017 erfolgte ein Paradigmenwechsel: Die Tabakfabrik GmbH wurde zu einem gewinnorientierten Unternehmen. Der jährliche Verlustabgang wurde mittels Gemeinderatsbeschluss eingestellt, stattdessen erfolgte eine Ausstattung mit Eigenkapital. Für die Sanierung wurden im Zeitraum von 2016 bis 2022 in Summe rund 72 Millionen EUR von der TFL GmbH in die Tabakfabrik investiert, 70% davon mittels Aufnahme von Fremdkapital.

Zur Tilgung der Kredite verwendet die Tabakfabrik GmbH Mittel aus der laufenden Geschäftstätigkeit. Die Einnahmen aus der laufenden Geschäftstätigkeit decken die Aufwände für den laufenden Betrieb, die Bespielung und die Instandhaltung des weitläufigen Areals. Zusätzlich entrichtet die Tabakfabrik GmbH Miete für das Areal an die Stadt Linz. 2022 schrieb die Tabakfabrik GmbH erstmals Gewinne, welche selbstverständlich wieder in die Tabakfabrik investiert werden.

8. Was bedeutet „kollaborativer Konzern“?

Das Prinzip Tabakfabrik

Das Funktionsprinzip der Tabakfabrik ist eine Fusion verschiedener Aspekte: Einerseits funktioniert sie wie die Schweizer Uhrmacher:innenstadt La Chaux-de-Fonds, deren Häuserzüge und Straßen wie in einer Fabrik angeordnet sind sind. Andererseits arbeitet sie nach einer Inspiration durch den Linzer Künstler und Architekten Herbert Bayer wie eine Konzernzentrale, deren Produktionskette zu einem geschlossenen Ring geformt ist. Genau so funktioniert beispielsweise auch die 2017 eröffnete Konzernzentrale von Apple.

Die Tabakfabrik ist eine interdisziplinäre Produktionsstätte, ein kollaborativer Konzern mit einsichtigen Prozessen, in dem möglichst viele verschiedene Fachbereiche und Initiativen zusammenarbeiten und sich gegenseitig bereichern. Aufgrund der Größe der Liegenschaft und der sie umgebenden Stadt wäre die Schaffung einer Monokultur weder sinnvoll noch möglich. Darüber hinaus garantiert erst die sukzessive Gestaltung und Bespielung ein organisches und nachhaltiges Wachstum.

Durch die spartenübergreifende Ausrichtung der Tabakfabrik als Manufaktur der neuen Moderne kann flexibel auf neue gesellschaftliche Anforderungen reagiert werden. Schon Peter Behrens und Alexander Popp wussten, dass Freiräume für Experimente nötig sind, um dem Wandel der Zeit gewachsen zu sein. Sie setzten diese Erkenntnis bei der Planung der Fabrik um – mit offenen, großen und leicht adaptierbaren Räumen.

© Elisabeth Fehkuehrer

© Elisabeth Fehkuehrer

Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten auf drastisch transformiert. Heute arbeiten wir an unterschiedlichen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten, als Ich-AG, in wechselnden Teamkonstellationen und ohne Festanstellung. Diese Form der Erwerbstätigkeit braucht neue, offene und vernetzte Räumlichkeiten.

Die Tabakfabrik trägt als kollaborativem Konzern dem wirtschaftlichen Strukturwandel Rechnung. Die Erforschung innovativer Formen der Zusammenarbeit ist nicht nur eine zentrale Vision in ihrem Konzept, sondern sichert auch dem Produktionsstandort Linz internationale Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft. Gerade jetzt ist das Schaffen neoindustrieller Arbeitsplätze, die hoch qualifizierte Fachkräfte nach Linz bringen, eine große Chance für die Stadtentwicklung und unabdingbar, um im Wettbewerb bestehen zu können.

9. Was sind die nächsten Schritte?

Die erste Entwicklungsphase der Tabakfabrik rückte das lange Zeit unzugängliche Areal ganz bewusst als spektakulärer Veranstaltungsort in das Bewusstsein der Bevölkerung, um einen hohen Bekanntheitsgrad, feste Bindungen und breite Akzeptanz zu gewährleisten sowie wichtige Erkenntnisse über die räumlichen Möglichkeiten der Liegenschaft zu gewinnen. Die Tabakfabrik ist dadurch zum Fixpunkt des kulturellen Stadtlebens geworden: Seit 2012 haben über 2 Millionen Gäste die Veranstaltungen vor Ort besucht.

In der zweiten Transformationsphase wandelte sich die Tabakfabrik durch Ansiedlung von Kultur- und Kreativwirtschaft vom Eventhabitat zum Kreativbiotop. Sie entwickelte sich vom Konsument:innentreff zum Produzent:innentreff.

Raphael Sperl @tricky.pics

Raphael Sperl @tricky.pics

Der neue Stadtteil entsteht

Bis 2026 entsteht an der Westseite der Tabakfabrik an der Ecke Gruberstraße/Untere Donaulände ein neues Wahrzeichen für die Stadt Linz, das wichtige Impulse für die Stadtentwicklung setzen und die Innenstadt mit dem aufstrebenden Hafenviertel verbinden wird. Nach den Plänen des renommierten Wiener Architekturbüros Zechner & Zechner realisiert die Bodner-Gruppe aus Kufstein/Tirol das Projekt QUADRILL, das von der Jury des zweistufigen, EU-weiten Bieterverfahrens einstimmig zum Sieger gekürt wurde. Das Gesamtinvestitionsvolumen des preisgekrönten Bauvorhabens, das in enger Zusammenarbeit mit der Tabakfabrik Linz Entwicklungs- und Betriebsgesellschaft und der Stadt Linz entwickelt wird, beträgt rund 190 Millionen Euro.

Auf einer Geschossfläche von insgesamt 85.000 Quadratmetern entstehen in vier unterschiedlichen Einheiten Büro-, Wohn-, Einzelhandels- und Gastronomieflächen sowie eine Tiefgarage mit rund 700 Stellplätzen. Der Blickfang des Ensembles, der 109 Meter hohe QUADRILL-Turm, beherbergt neben modernen Büroflächen ein Hotel der Arcotel-Gruppe mit rund 200 Zimmern und einer Rooftop-Bar mit einmaligem Ausblick über die Stahlstadt. In den übrigen Gebäudeteilen entstehen ein Lebensmittelmarkt, mehrere Restaurants und Einzelhandelsgeschäfte sowie weitere Büroflächen. Auch Wohnen findet Einzug in den Nutzungsmix des neuen Quartiers: Kurzzeitiges Wohnen in smarten Apartments ist ebenso möglich wie längerfristiges Wohnen.

10. Wie kann man sich den Alltag in dieser Manufaktur in der Zukunft vorstellen?

Die Tabakfabrik Linz ist nicht nur aus architektonischer Sicht visionär, sie definiert sich im Geiste ihrer Schöpfers Peter Behrens und Alexander Popp auch heute als dynamische Produktionsstätte, als Versuchsanstalt für Visionen und für die konkrete Umsetzung gesellschaftspolitischer oder sozioökonomischer Zukunftsmodelle.

Daher beschäftigt sich die Tabakfabrik nicht nur mit der Gegenwart, sondern entwickelt auch Konzepte für das Jahr 2040. In diesem Jahr könnte sich die Einwohner:innenzahl der Stadt Linz verdoppelt haben. Das Leben der Menschen wird neuen Gesetzmäßigkeiten folgen.

Der Arbeitsmarkt entwickelt sich immer mehr in Richtung der neuen Selbstständigkeit. Während die hohe individuelle Autonomie in der Gestaltung der Arbeit von vielen als positiv gesehen wird, wird diese oft mit hohen finanziellen Risiken und chronischem Konkurrenzdruck bezahlt. In der Tabakfabrik soll diesen negativen Entwicklungen bewusst entgegengesteuert werden.

Inspiriert von den Ideen und Konzepten des Thinktanks NANK (Neue Arbeit – Neue Kultur) rund um den Sozialphilosophen und Begründer der sogenannten New-Work-Bewegung Frithjof Bergmann, werden neue berufliche Milieus für kreative Mikrounternehmen geschaffen und erprobt.

Unter den Begriffen „Co-Working“ und „Community Production“ stehen gemeinschaftliche Arbeitsstrukturen im Mittelpunkt, die effektive lokale wie internationale Synergien ermöglichen und eine kleinteilige, dezentrale Produktion durch die Bereitstellung von Hightech-Infrastrukturen und durch Ressourcenteilung fördern. Kooperation anstelle von Konkurrenz soll den Alltag bestimmen.

© Sabine Kneidinger

© Sabine Kneidinger

Tabakfabrik und Autopoiese

Systeme organisieren, entwickeln und verändern sich im Rahmen einer besonderen Eigenlogik. Sie benötigen für ihren Aufbau unterschiedliche Elemente und vernetzen sich zu unterschiedlichen Strukturen. Der Begriff „Autopoiese“ wird verwendet, wenn diese Elemente und Strukturen vom System selbst produziert und reproduziert werden. Ein autopoietisches System erschafft und erhält sich aus sich selbst heraus.

Der Begriff der Autopoiesis bedeutet jedoch nicht den Verzicht auf Kontakte zum Außen, zur Umwelt. Interaktion ist für das System von Bedeutung, aber sie diktiert das System nicht.  Es reguliert selbst das Ausmaß und die Form der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von seiner Umwelt. In diesem Sinne bewahrt das System seine relative Autonomie, handelt auf der Grundlage seiner eigenen Logik und ist daher nicht beliebig von außen steuer- oder kontrollierbar.

In Bezug auf den Aufbau sozialer Systeme ist der Begriff der „Kontingenz“ zentral. In den Beziehungen zur Umwelt sowie in den inneren Beziehungen zwischen den Elementen existiert das Phänomen, dass niemals alle möglichen, sondern immer nur einige wenige Beziehungen zustande kommen und das System prägen.

Die Beziehungen der Elemente folgen keiner festen Regel; es gibt weder notwendige noch unmögliche Verknüpfungen: Sie sind kontingent. Die Folge ist, dass sich Systeme mit ähnlichen bestimmenden Elementen dennoch sehr unterschiedlich organisieren.

SMEC © Sabine Kneidinger

SMEC © Sabine Kneidinger

 
Aus sich selbst heraus: Ein Modell für den Entwicklungsprozess der Tabakfabrik

Das Konzept 4020 Linz – Tabakfabrik 2040: Strategie zur weiteren Entwicklung der Tabakfabrik Linz benennt vier Säulen als Grundelemente des neuen Stadtteils: Kreativität, Soziales, Arbeit und Bildung. Diese Elemente bilden eine strukturelle Vorgabe für die inhaltliche Entwicklung der Tabakfabrik; hinzu kommt ein zeitgemäßes Verständnis des öffentlichen Raumes. Dieser Begriff bezeichnet keinen öffentlich subventionierten Raum, sondern zielt auf die Dynamik der Aneignung dieses Raumes für soziale, kulturelle und politische Belange ab. Das Konzept des öffentlichen Raums wird selbst zu einer Frage der Entwicklung und Differenzierung im Gesamtprozess.

Hauptakteur:innen dieses Konzepts sind die politischen Träger:innen und das Management der Tabakfabrik, aber auch die vier Aktivitätsbereiche sind in die Entwicklungsarbeit eingebunden. Aus systemtheoretischer Sicht bilden alle Akteur:Innen – politische Vertreter:innen, Management und Pionier:innen – Teilsysteme eines Gesamtsystems und entwickeln sich relativ autonom.

Im Hinblick auf den Prozess der inneren Entwicklung sowie der Wechselwirkungen der Subsysteme untereinander stellen Autopoiesis und Selbstorganisation wichtige Faktoren dar.

Der Vorteil, die Entwicklung der Tabakfabrik als autopoietisch zu betrachten, liegt in der realistischen und innovativen Management- und Entwicklungsstrategie, die sich aus dieser Sichtweise ergibt. Der traditionelle Ansatz wäre, die Tabakfabrik als lebloses Objekt zu betrachten, das Eingriffen von außen ausgeliefert ist.

Ein linearer Gestaltungsprozess sammelt Ideen, entwirft Planungen und führt Änderungen durch. Dabei setzen die Planer:innen vielfach voraus, alle Faktoren zu kennen – in der Regel ist diese Annahme unrealistisch. Lernprozesse, in denen neue Erfahrungen gemacht und durch korrigierende Eingriffe rekursiv in den Gesamtprozess eingebracht werden, sind nicht vorgesehen. Dies birgt das Risiko einer Planung, der an internen und externen Gegebenheiten vorbeigeht.

Hingegen erkennt ein systemtheoretisch inspirierter Zugang an, dass sich die Akteur:innen – in ihren jeweiligen Funktionen und Bereichen – nach spezifischen Eigenlogiken organisieren und entwickeln, im Sinne von Subsystemen in einem Gesamtsystem.

Welche Beziehungen die Akteur:innen innerhalb der Bereiche oder zwischen Bereichen eingehen bleibt der relativen Autonomie der Subsysteme überlassen. So entsteht Raum für eine Vielfalt kontingenter Allianzen zwischen allen beteiligten Akteur:innen. Dieser Zugang ist wesentlich realistischer, da er das Moment der Kontingenz in allen Entwicklungsprozessen anerkennt. Er bezieht entsprechende Phasen der Reflexion und Neuorganisation in den Gestaltungsprozess ein.

Ein systemtheoretischer Ansatz nutzt zudem das spezifische kreative Potenzial, das entsteht, wenn Systemen Raum zur Selbstorganisation und das produktive Moment von Kontingenz zugelassen wird. 

Die Steuerung des Gesamtsystems wird dabei nicht aufgegeben: Einerseits konzentriert sie sich auf die Implementierung politischer, wirtschaftlicher und technischer Rahmenbedingungen, an dem sich die Subsysteme ausrichten. Andererseits bringt sie die steuernden Akteur:Innen dazu, sich als Teil des Gesamtsystems wahrzunehmen, die zwar eine gewisse Machtposition innehaben, in dieser Position aber gegenseitigen Wechselwirkungen und Abhängigkeiten der Subsysteme ausgesetzt sind. Dieses Selbstverständnis vermittelt in der Regel einen sozial geschulten, fähigen und reflexiven Führungsstil.